„Ich weiß, dass ich nicht die ganze Welt retten kann aber ich will wenigstens so viele Tieren retten, wie es mir möglich ist“ … Christiane Rohn …
Im November 2005 waren Tom Vogel und Henrik Bagdassarian einer Einladung von Christiane Rohn auf den Gnadenhof (www.der-gnadenhof.de) gefolgt. Bei ihrem Besuch überreichten die beiden Hamburger eine Spende in Höhe von 250 Euro von der BG Hamburg e.V. des ADRK (www.adrk.de) sowie eine weitere Spende in Höhe von 300 Euro von der Hunde-Lobby.
Auf den ca. 7 Hektar des Gnadenhofs leben derzeit rund 270 Tiere, denen allen eines gemeinsam ist: sie wurden misshandelt und gelten als verhaltensgestört. Neben rund 70 Hunden, die fast alle durch Beißvorfälle aufgefallen sind und auf die außerhalb des Gnadenhofes die Todesspritze wartet, leben Enten, Gänse, Katzen, Schafe, Ziegen, Schweine, Esel, Ponys, Pferde, Lamas, Guanakos, sogar ein Kamel, ein Dromedar und ein Affe auf dem Gnadenhof.
Ob es nun Pferde sind, die aus den berüchtigten Schlachttransporten von Polen nach Italien stammen und auf der A2 von der Polizei angehalten und aufgrund katastrophaler Bedingungen beschlagnahmt wurden, ob es sich um Lamas, das Kamel oder das Dromedar handelt, die alle aufgrund unerträglicher Haltungsbedingungen einem Wanderzirkus abgenommen wurden, oder ob es sich „nur“ um ein Schwein handelt, dass einem Ehepaar lebend als Spanferkel geschenkt wurde – all diese Tiere haben auf dem Gnadenhof ein würdiges Zuhause gefunden. Hier wird ihnen die Möglichkeit gegeben, das Vertrauen zum Menschen von Grund auf neu zu erlernen.
Christiane Rohn verbrachte schon als Kind ihre Freizeit in den umliegenden Tierheimen. Frühzeitig erkannte sie den Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und Angstzuständen bei Hunden. So lernte sie von klein auf das Vertrauen der Hunde zu gewinnen und so eine Verständigung und Beziehung herzustellen.
Ihren Wunsch, alleingelassenen, verängstigten und gequälten Tieren ein neues Zuhause zu bieten setzte sie im Sommer 1999 in die Tat um. Ein ehemaliger Bauernhof wurde zunächst die Heimat für ca. 250 Tiere. Als sich dann drei Jahre später die Gelegenheit bot, umständehalber den Argenhof bei Amtzell (Bodensee) sehr günstig zu erwerben, wurde dieser trotz erheblicher finanzieller Schwierigkeiten und den damit verbundenen Risiken gekauft. Der gemeinnützige Verein „Lebenswürde für Tiere e.V.“ übernahm die Trägerschaft für den Gnadenhof.
Presse und Medien verliehen Christiane Rohn den Titel „Hundeflüsterin“, eine Bezeichnung, der sie selbst sehr kritisch gegenübersteht. Kein geheimes „Flüstern“ sondern ihre Erfahrung, ihre Sachkenntnis sowie ihr großes Einfühlungsvermögen sind die Schlüssel zu ihrem Erfolg. In den letzten 18 Jahren kann sie auf die Arbeit mit rund 3.000 Hunden zurückblicken. Hinter jedem dieser Hunde steckt eine Geschichte, eine Geschichte die geprägt ist von Unverständnis, von Missbrauch, von körperlichen und seelischen Schmerzen. Das Verhalten eines Hundes lässt sich häufig sehr schlüssig erklären, denn nichts passiert ohne Grund.
Mit Ruhe, Konsequenz aber auch der notwendigen Autorität konnten diese Hunde zu Hunden gemacht werden, die wieder einem Menschen vertrauen und als therapiert in gute und sachkundige Hände vermittelt werden konnten.
Aus ihrer langen Erfahrung mit verhaltensgestörten Hunden kann Christiane Rohn behaupten, dass Aggression und Gefährlichkeit eines Hundes praktisch nur aus dem Fehlverhalten und der Unwissenheit der Menschen entstehen. Statt für Orientierung zu sorgen, schlagen sie die Tiere, vermenschlichen sie oder stiften Verwirrung in den Augen des Hundes.
Christiane Rohn ist ein bekennender Rottweiler Fan. Ihr ganzes Leben wurde sie, wenn auch auf unterschiedlichste Art und Weise, von dieser Rasse begleitet. Nicht umsonst ist sie auf dem Titelbild Ihres Buches mit einem Rottweiler abgebildet.
Ein Betrieb von der Größenordnung des Gnadenhofes benötigt vor allem Menschen, die sich ehrenamtlich einbringen und Menschen, die den Hof finanziell unterstützen. Der Verein „Lebenswürde für Tiere e.V. “ ist als gemeinnützig anerkannt und hat die Trägerschaft für den Gnadenhof übernommen. Alle Spenden sind steuerlich absetzbar (Konto 137241, BLZ 650 501 10, Kreissparkasse Ravensburg).
Der Kontakt zu Christiane Rohn und die Einladung kamen durch die Staffordshire-Hündin „Sugar“ zustande. Monatelang sorgte der Fall „Sugar“ für erhöhte Auflage der Bild-Zeitung und höhere Einschaltquoten bei Stern-TV. Zu dem in Hamburg gerichtlich angeordneten dritten Wesenstest von „Sugar“ wurden Henrik Bagdassarian und Alexander Bick, der sich gerade in Hamburg aufhielt, als Hilfspersonen hinzu gebeten. Während des mehrstündigen Gespräches mit Christiane Rohn in der Galeria auf dem Gnadenhof war „Sugar“ größtenteils mit anwesend, manchmal hatte sie sogar Erfolg und landete auf dem Schoß von Christiane Rohn und genoss es, von den Besuchern gekrault zu werden.
Interview mit einer außergewöhnlichen Tierschützerin
BAGDASSARIAN: Auf dem Gnadenhof setzen Sie sich für ein schwaches Mitglied unserer Gesellschaft ein, dem Tier. Wie definiert sich für Sie der Begriff „Tierschutz“?
ROHN: An allererster Stelle steht für mich der Respekt vor dem Tier. Wenn der Mensch versagt, muss häufig das Tier dafür büßen. Gerade wir auf dem Gnadenhof haben es nicht einfach, denn wir setzen uns für Tiere ein, die von der Gesellschaft nicht mehr geachtet werden aufgrund von Fehlern, die von Menschen begangen wurden. Es darf nicht sein, dass in der heutigen Zeit ein Tier einfach nur benutzt wird, so wie es dem Menschen gerade passt. Das erinnert mich an modernes Sklaventum.
BAGDASSARIAN: Tierquälerei ist leider ein häufig vorkommendes Thema. Wo fängt für Sie Tierquälerei an?
ROHN: Tierquälerei liegt für mich irgendwo zwischen den beiden Extremen: zu Tode lieben – zu Tode quälen. Außer der körperlichen und seelischen Grausamkeit, die Menschen Tieren antun, sind unter tierschutzrechtlichen Aspekten auch die artspezifischen Grundbedürfnisse zu beachten. Bei Tieren, die im Sozialverbund miteinander leben, zudem noch die die Bindungsbedürfnisse. Auch werden gerade unsere Hunde heutzutage viel zu oft vermenschlicht. Vermenschlichung bedeutet für mich nicht, den Hund ins Bett oder auf das Sofa zu lassen. Vermenschlichung bedeutet, menschliche Züge und Gedankengänge in den Hund hinein zu interpretieren. Das beste Beispiel findet man auch immer wieder auf den Hundeplätzen:
„…heute hab ich es ihm aber wieder gezeigt, er wollte mich schon wieder voll verar…!“
Ich denke, dass in dem Miteinander von Mensch und Hund häufig das Gefühl für den Hund verloren geht. Die Hunde werden instrumentalisiert und der Mensch sucht nach Gebrauchsanweisungen, wie ein Hund „funktioniert“ und nicht danach, wie ein Hund fühlt.
BAGDASSARIAN: Wie sieht die Zusammenarbeit bzw. der Zusammenhalt innerhalb der diversen dem Tierschutz verschriebenen Organisationen aus?
ROHN: Hier könnte die Zusammenarbeit zwischen Tierheimen, Tierschutzorganisationen, Hundevereinen etc enger und besser sein, denn bei allen sollte nur eines im Vordergrund stehen: das Wohlergehen unserer Tiere. Ich habe mich diesbezüglich natürlich sehr über den Kontakt gefreut, der auf diesem Wege mit dem Allgemeinen Deutschen Rottweiler-Klub und der Hamburger Hunde-Lobby zustande gekommen ist.
BAGDASSARIAN: Auf dem Titelbild Ihres Buches „Man nennt mich Hundeflüsterin“ sind sie mit einem Rottweiler abgebildet. Gibt es von Ihrer Seite eine spezielle Beziehung zu dieser Rasse?
ROHN: Mit Rottweilern hatte ich eigentlich immer viel zu tun. Es sind Hunde, zu denen ich immer ein besonderes Verhältnis gehabt habe, für mich sind es Hunde mit einer ganz besonderen Persönlichkeit. Wenn ein Rottweiler gut geprägt ist, sind es unglaublich souveräne Hunde, die eine sehr innige Beziehung zu ihrem Menschen aufbauen können. Sie können sehr feinfühlig sein und sind als Hund ein hervorragender Partner. Der Rottweiler auf dem Titelbild des Buches ist der Rüde Iman, der mit 5 Monaten halbverhungert zusammen mit einem toten und einem schwerverletzten Junghund in einem Schacht gefunden wurde. Es hat lange gedauert bis ich zu ihm ein intensives Vertrauen aufbauen konnte. Es gelang mir, Iman zu einem ganz besonderen Hund zu machen, an dem ich sehr hing, bis ich ihn in sehr gute Hände vermitteln konnte.
BAGDASSARIAN: Die Tiere bei Ihnen auf dem Hof sind quasi alle dem Tode entronnen. Die Hunde sind fast alle durch Beißvorfälle auffällig geworden und ihnen stand größtenteils die Todesspritze bevor.
ROHN: Stimmt genau, alle Tiere bei uns wurden praktisch vor der Einschläferung gerettet. Viele Leute sind der Meinung, anstatt sich z.B. um auffällig gewordene Hunde zu kümmern, sollte man sich lieber um die „lieben“ Hunde kümmern. Dies tun in Deutschland glücklicherweise schon viele, so dass ich mich voll und ganz auf die „Problemfälle“ konzentrieren kann. Wenn Menschen durch Haltungsfehler, durch Fehler in der Aufzucht oder Ausbildung die tatsächliche Verantwortung für diese Beißvorfälle tragen, sehe ich gerade hier für mich die Aufgabe, diesen Hunden zu helfen.
BAGDASSARIAN: Es heißt ja immer „…ein Hund der einmal beißt, wird immer wieder beißen…“
ROHN: Es ist ein ganz großer Irrtum anzunehmen, dass ein Hund, der einmal gebissen hat, immer wieder beißen wird. Durch Aufbau von Vertrauen zum Menschen, durch Herstellung von beidseitiger Kommunikationsfähigkeit hat man eine ganz große Chance, diese Hunde wieder auf den richtigen Weg zu leiten.
BAGDASSARIAN: Die meisten Hunde bei Ihnen auf dem Gnadenhof sind durch schwere Beißvorfälle auffällig geworden und somit nicht mehr tragbar in unserer Gesellschaft.
Worauf führen sie die Ursache dieser Vorfälle zurück?
ROHN: Die meisten Beißvorfälle lassen sich zurückführen auf isolierte Haltung, falsche Ausbildung oder Mängel in der Aufzucht. Bei einer isolierten Haltung hat der Hund ganz klare Mängel im Sozialverhalten gegenüber anderen Lebewesen und absolute Mängel im Umgang mit Umweltreizen, häufig können diese Hunde Situationen nicht richtig einschätzen. Isoliert gehaltene Hunde haben keine Möglichkeiten des Stressabbaus, daraus resultiert eine Steigerung von speziellem Triebverhalten, welches dann schnell situationsbedingt in den Beute- oder Wehrtrieb übergehen kann. Mängel in der Aufzucht der Welpen, gerade in den entscheidenden Wochen eines Hundes, der so genannten Prägungsphase, findet man häufig in Schwarzzuchten oder bei so genannten Hundevermehrern.
BAGDASSARIAN: Sie sprachen auch Ausbildungsfehler an, die die Ursache für Beißvorfälle sein können. Unter den ca. 70 Hunden bei Ihnen auf dem Hof sind auch viele Gebrauchshunde.
ROHN: Erst einmal vorweg, ein Gebrauchshund wie z.B. der Schäferhund, der Dobermann oder der Rottweiler ist nicht aggressiver oder gefährlicher als alle anderen Hunde. Es sind jedoch Hunde, die sich in Notwehrsituationen wehren, sie wechseln aus Angst eher schon einmal in den Wehrtrieb, während z.B. ein Windhund in der gleichen Situation flüchtet.
Die meisten mir bekannten Beißvorfälle fanden im häuslichen Bereich gegenüber dem Besitzer statt. Häufig ist es so, dass ein eigentlich sehr unsicherer Hund durch falsche Anleitung oder viele Missverständnisse in der Hund-Mensch-Beziehung in eine Situation gedrängt wird, wo der Hund anfängt, den Menschen zu maßregeln. Der Mensch reagiert darauf noch aggressiver, drängt den Hund immer weiter in die Notsituation hinein, bis er letztendlich zubeißt.
BAGDASSARIAN: Welche grundsätzlichen Fehler in der Ausbildung können zu solchen Vorfällen führen?
ROHN: Leider ist es heutzutage immer noch auf Hundeplätzen zu beobachten, dass in dem Moment, wenn der Hundeführer nicht mehr weiter weiß, die Gewaltbereitschaft der Hundeführer überproportional steigt. Zudem überfordert der Mensch häufig den Hund. Er geht nicht auf den wirklichen Leistungsstand des Hundes ein, weil oftmals die Meinung vertreten wird, ich habe dies oder jenes nun schon ein halbes Jahr trainiert, jetzt muss er es aber können. Der Mensch geht sehr oft nur von sich aus und dies ist in meinen Augen oft falsch verstandener Ehrgeiz. In der Ausbildung ist für mich das Wichtigste zu erkennen, ob der Hund versteht, was ich von ihm will und nicht einfach ohne jegliche Kommunikation permanent nach Schema F zu arbeiten. Man darf nie vergessen, dass jeder Hund und jeder Mensch ein Individuum ist. Man kann nicht jeden über einen Kamm scheren, was leider immer noch häufig zu beobachten ist.
Es gibt immer noch zu viele so genannte „Profis“, die nur ihren Weg kennen und wenn er nicht funktioniert, taugt entweder der Hund nichts, oder er muss dann sogar weg. Sehr häufig ist auch zu beobachten, dass bei auftretendem Problemverhalten die Ausbildung in einer reinen Symptombekämpfung endet, die eigentliche Ursache für dieses Verhalten gar nicht gesehen wird. Man muss sich über eines bewusst sein: „wenn man nicht mehr weiter weiß, hat man als Mensch mit seinem Bewusstsein die Chance, über etwas nachzudenken und muss nicht gleich blindlings gewaltbereit sein“.
BAGDASSARIAN: Sie sprechen von Gewaltbereitschaft, spielt nicht auch die Gehorsamsbereitschaft der Hundeführer eine große Rolle?
ROHN: Vollkommen richtig, der eine Mensch (Ausbilder) gibt Befehle, der andere Mensch (Hundeführer) führt sie aus, oft ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Häufig ist der Mensch ein reiner Befehlsempfänger, dies erlebe ich in fast jedem Seminar und beobachte es auch häufig in der Hundeausbildung. Ich appelliere daran, eigene Gefühle für sich selbst und das Lebewesen an seiner Seite zu entwickeln.
BAGDASSARIAN: Sie haben über Jahre hinweg viele Erfahrungen in der Rettungshundeausbildung sammeln können. Für wie wichtig halten Sie generell die Ausbildung eines Hundes?
ROHN: Meiner Meinung nach sollte jeder, der mit Hunden zu tun hat, auch schon einmal mit Hunden gearbeitet haben. Ich bin sehr für Ausbildung, weil es einfach eine ernsthafte Beschäftigung bedeutet. Ich finde es wichtig, zusammen zu arbeiten, es verbessert die Konzentrations-, Lern- und Wahrnehmungsfähigkeit des Hundes und die Fähigkeit des Menschen, den Hund verstehen zu lernen.
BAGDASSARIAN: Sie arbeiten hauptsächlich mit verhaltensgestörten Hunden, wie stellen Sie eine Bindung zwischen dem Tier und Ihnen her?
ROHN: Mein oberstes Motto ist: Vertrauen schaffen durch Kommunikation und Leiten! Zu aller erst muss das Vertrauen des Hundes in den Menschen und in die Alltagssituationen wieder hergestellt werden. Das geht allerdings nur, wenn ich als Mensch anleite, was bedeutet, dass ich als Mensch agiere und nicht reagiere.
Nehmen wir hier als alltägliches Beispiel die Begegnung zweier Hunde an der Leine. Bei dem einen Hund ist bekannt, dass er aus Angst sich dem anderen Artgenossen gegenüber aggressiv verhält. Wenn der Mensch dann nicht leitet, kommt der Hunde in die Zwangslage, selber zu entscheiden, ob er nun angreift oder nicht, weil der Mensch nichts macht. Logischerweise wird er dann von ihm auch noch im Falle eines Angreifens bestraft.
Anleiten heißt hier nun für mich, den Hund nicht in diese Zwangslage kommen zu lassen, sondern ihm vorher die Entscheidung abzunehmen. In dem Moment, wo ich mitbekomme, dass der Hund anspannt, mache ich ihm unvermittelt klar, dass es hierfür keinen Grund gibt, da ich ihn beschütze (Sicherheit gebe) und in solchen Situationen für ihn da bin. Wenn ein Mensch über Jahre hinweg bei einem unsicheren Hund planlos agiert, wird es natürlich umso schwieriger, hier wieder eine Linie hineinzubekommen.
BAGDASSARIAN: Um dieses umzusetzen, bedarf es aber der Fähigkeit des Hundeführers, mit seinem Hund zu kommunizieren
ROHN: Natürlich, um seinen Hund anzuleiten ist es unbedingt notwendig, eine Kommunikation mit seinem Hund aufzubauen. Ich kann natürlich auch den Hund brechen und bei ihm durch Schmerzen bewirken, dass er es nicht mehr wagt, das unerwünschte Verhalten zu zeigen. Es ist für mich eine grundsätzliche Verständigungsfrage, ob ein Hund es nicht mehr macht, weil er sich nicht mehr traut, oder weil er verstanden hat, dass ich sehr wohl fähig bin, ihn in dieser gewissen Situation zu beschützen bzw. ihn durch diese Situation zu leiten.
Kommunikation ist für mich aber auch beidseitig. Es ist fatal, wenn der Mensch sagt, der Hund hat nur das zu machen, was ich will. Es ist fatal, wenn nach wie vor auf Hundeplätzen z.B. die Meinung vertreten wird, nur der Mensch darf das Spiel beginnen und beenden. So ist eine Kommunikation nur einseitig und ein Aufbau von richtiger Kommunikation nicht möglich.
Kommunikation bedeutet aber auch, dass der Hund sich äußern darf und auch schon mal den Weg bestimmen darf. Dies hat bei einer vernünftig aufgebauten Mensch-Hund-Beziehung keinerlei Auswirkungen auf die notwendige Hierarchie, sonder eher positive Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein des Hundes. Und je selbstbewusster ein Hund ist, desto weniger muss er sich nach außen hin aufwerten. Das Zusammenleben mit einem Hund besteht für mich aus einem Miteinander und einem Füreinander.
BAGDASSARIAN: Kommen wir noch zu einem Thema, welches auch immer wieder für Gesprächsstoff sorgt, der Dominanz.
ROHN: Das schlimmste, was es in der Hundeszene gibt, ist die häufige Fehlinterpretation von Dominanz. Ein wirklich dominantes Tier ist eigentlich ein sehr gelassenes Lebewesen. Es gibt für mich auch keinen Hund, der schon vom Welpenalter an dominant ist, richtige Dominanz entwickelt sich erst. Erst durch gute Prägung, Intelligenz, Lebenserfahrung und gutem Sozialverhalten, sowie dem Vermögen Situationen richtig einschätzen zu können, entwickelt sich wahre Dominanz. Im Rudel kann man häufig beobachten und das ist das eigentlich Faszinierende, dass das dominante Tier so gut wie keine Gewalt braucht.
BAGDASSARIAN: Im Rudel ist ja nicht unbedingt das stärkste Tier der Führer, sondern häufig das Intelligenteste.
ROHN: Genau, das ist ja auch das Interessante. Fast immer ist es intern sogar eine Hündin, die das Sagen hat, die das Rudel anleitet, während der Rüde nach außen hin Schutz gewährt. Darum erscheint auch der Rüde oftmals dominanter, aber man braucht nur zu beobachten, wie sich dann der dominanteste Rüde der Hündin gegenüber verhält.
Tiere, die viel Aggression nach außen hin zeigen, sind häufig sehr unsichere Tiere, die ihre Gefühle überspielen müssen. Mit viel Imponiergehabe wollen sie einfach nur Eindruck schinden. Die meisten Menschen verwechseln also eine Angstaggression mit Dominanz und so kommen natürlich unheimlich viele Missverständnisse auf. Wenn man dann noch die Ängste bestraft, wird es umso schlimmer.
BAGDASSARIAN: Kommen wir zum Schluss noch kurz auf Sugar zu sprechen, die Staffordshire Hündin, die über Monate in der deutschen Presse und im Fernsehen als gefährlichste Beißmaschine Deutschlands verkauft wurde. Ein Kritikpunkt, der gerade auch in Hamburg laut wurde, war die plötzliche Verwandlung vom gefährlichsten Hund zum größten Schmusehund Deutschlands.
ROHN: Beide Einschätzungen sind reine Erfindungen der Presse. Für mich ist Sugar weder der gefährlichste Hund noch der liebste Schmusehund. Sie ist einfach eine ganz große Persönlichkeit, die unglaublich liebebedürftig und menschenbezogen ist.