Anfang 2006 wurde in der Bürgerschaft das Hundegesetz beschlossen, dessen meisten Bestimmungen – etwa über das Verbot der Haltung gefährlicher Hunde – zum 1. April 2006 in Kraft traten. Hamburg führte dabei als erstes Bundesland eine allgemeine Anleinpflicht auch für alle „sonstigen“ Hunde ein, um frühzeitig Belästigungen entgegenzuwirken, die durch den Kontakt mit Hunden entstehen können. Die Bestimmung über den generellen Leinenzwang und die flankierende Bußgeldbewehrung gilt seit dem 1. Januar 2007.
Seit diesem Zeitpunkt muss jeder Hund – und wenn er noch so klein und harmlos ist – im öffentlichen Raum an einer Leine geführt werden, es sei denn, die Begleitperson führt eine auf sie individuell ausgestellte und auf den konkreten Hund bezogene Ausnahmegenehmigung im Original mit sich, die sie – gegen eine „angemessene“ Gebühr – nur erhält, wenn sie vorher in einer Hundeschule oder einer vergleichbaren Einrichtung – natürlich auch dies nur gegen Gebühr – eine Gehorsamsprüfung („Hundeführerschein“) erfolgreich absolviert hat. Der Gesetzgeber begründete die allgemeine Anleinpflicht mit dem Anliegen, auf diese Weise „Belästigungen“, die sich in einer „Metropolregion“ durch Hunde ergeben können, auszuschließen.
In Hamburg gibt es knapp 40.000 registrierte Hunde. Die große Mehrheit der Halter normaler Hunde akzeptiert es nicht, dass sie wegen einiger weniger Vorfälle in der Vergangenheit – ausgelöst durch gefährliche Hunde – in der gesetzlich angeordneten Weise in eine Gemeinschaftshaftung genommen werden, die sich aus der allgemeinen Anleinpflicht ergibt. Die Hamburger Hundehalter haben sich deshalb in der „Hunde-Lobby“ organisiert und einen Fachmann für Verfassungsfragen – Rechtsanwalt Prof. Dr. Holger Schwemer (Hamburg) – beauftragt, den Leinenzwang mit einer Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG zu Fall zu bringen.
Die Verfassungsbeschwerde ist am 17. Januar 2007 auf den Weg gebracht worden. Das BVerfG wird darüber zu entscheiden haben, ob es mit dem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) vereinbar ist, einen landesweiten Leinenzwang einzuführen. Denn es ist nicht nur der Leinenzwang, der jeden Hundehalter belastet, sondern es sind auch die flankierende Maßnahmen, die in ihrer Summe unangemessen erscheinen: die Pflicht zur fälschungssicheren Kennzeichnung eines Hundes durch einen Mikrochip, die Speicherung einer Fülle personenbezogener Daten in einem Zentralen Register sowie die Ermächtigung zum Erlass von Ordnungsverfügungen und Bußgeldbescheiden zur Durchsetzung zahlreicher Pflichten aus dem Gesetz. Verfassungsrechtlich wird es dabei um die Frage gehen, ob das verfolgte öffentliche Anliegen der Gefahrenvorsorge einen so weit gehenden Grundrechtseingriff rechtfertigt oder ob der Gesetzgeber erst tätig werden darf, wenn von Hunden eine Gefahr ausgeht – und nicht eine bloße Belästigung.
Hamburgs Hunde-Lobby ist optimistisch – auch wenn knapp 90% aller Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe ohne Erfolg bleiben. Immerhin haben die Hamburger eine Vorreiterrolle übernommen. Denn wenn eine allgemeine Anleinpflicht mit den Grundrechten der Hundehalter nicht vereinbar ist, können die Hunde bundesweit aufatmen. Sie werden dann von entsprechenden Landesgesetzen bewahrt bleiben.
Wortlaut der Verfassungsbeschwerde
Die Beschwerdeführerinnen wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die landesgesetzlich begründete Pflicht, Hunde im öffentlichen Raum stets anzuleinen, sofern nicht nach einer Gehorsamsprüfung eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden ist.
A. Sach- und Rechtslage
Die Schaffung der Rahmenbedingungen für den Umgang mit Hunden im öffentlichen Raum wurde beeinflusst durch einen Beißvorfall mit tragischem Ausgang im Jahre 2000 im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Hinzu traten rechtliche Erkenntnisse im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerwG zur befugnisbegrenzenden Auslegung der Verordnungsermächtigungen in den allgemeinen Gefahrenabwehrgesetzen (Ordnungsbehördengesetzen) der Länder.
I. Rechtslage
Seit Anfang der Neunziger Jahre gab es in Hamburg ordnungsbehördliche Verordnungen über die Zucht von Kampfhunden und das Halten von Hunden (04.06.1991 GVBl 235; 14.12.1993 GVBl 379). Diese Verordnungen befassten sich im Wesentlichen mit der Definition und Einschränkung der Haltung gefährlicher Hunde. Für andere Hunde gab es Anleinpflichten für Einkaufszentren und vergleichbare Örtlichkeiten. Weitergehende Anleinpflichten enthielten die Hundeverordnungen nicht.
Am 26.05.2000 wurde in Hamburg-Wilhelmsburg ein Kind von einem Pitbull-Terrier getötet. Den Behörden war bekannt, dass das Tier schon mehrfach auf Kinder gehetzt worden war. Eingeschritten war das dafür zuständige Bezirksamt jedoch nicht. Die Landesregierung ersetzte im Anschluss an diesen Vorgang die bis dahin geltende Hundeverordnung von 1993 durch eine „Verordnung zum Schutz vor gefährlichen Hunden und über das Halten von Hunden“ zunächst in der Fassung vom 28.06.2000 (GVBl 111), dann erneut überarbeitet in der Fassung vom 18.07.2000 (GVBl 152).
In ihren §§ 1-5 regelte die VO das grundsätzliche Verbot, gefährliche Hunde zu halten sowie die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen, deren Voraussetzungen unter anderem an die Zuverlässigkeit des Besitzers gebunden waren.
Mit dem Halten anderer Hunde befassten sich §§ 6-8 der VO. Sie bestimmten im Wesentlichen, dass Hunde in Treppenhäusern, Fluren und in Zuwegungen von Häusern so zu beaufsichtigen waren, dass von ihnen keine Gefahren ausgehen. Eine Anleinpflicht gab es nach jener VO nur für Hunde, die nicht zuverlässig gehorchten, die bereits mehrfach Menschen und Tiere angefallen hatten, für läufige Hunde sowie für Hunde, die in Einkaufszentren, Fußgängerzonen und zu sonstigen Menschenansammlungen mitgeführt werden sollten.
Der Verordnungsgeber wollte mit seinen Regelungen über die Haltung „sonstiger Hunde“ offensichtlich im Vorfeld frühzeitig Gefahren vorbeugend entgegenwirken. Eine allgemeine Anleinpflicht für Hunde gab es zur damaligen Zeit in Hamburg nicht.
Die Verordnung vom 18.07.2000 beruhte auf der damaligen Fassung des § 1a des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG). In dieser Bestimmung ermächtigte der Gesetzgeber den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, „die zum Schutz der Allgemeinheit oder des Einzelnen erforderlichen Bestimmungen zu erlassen, um von gefährlichen und anderen Hunden ausgehende Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum abzuwehren“. Unter dem Eindruck der Rechtsprechung des BVerwG (03.07.2002 – 6 CN 8.01 – BVerwGE 116, 347), wonach die allgemeinen Ordnungsbehördengesetze der Länder nur im Fall einer „klassischen Gefahr“ (aaO 351) zum Erlass von Verordnungen zur Gefahrenabwehr ermächtigen, gab es auch in Hamburg in der Folgezeit anlässlich von einzelfallbezogenen Klagen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die die Gültigkeit der erwähnten Hundeverordnung infrage stellten.
„Allein der Gesetzgeber ist befugt“, – so lauteten nämlich die Feststellungen des BVerwG auf S. 353 – „durch eine Absenkung der Gefahrenschwelle in dem ermächtigenden Gesetz von der Gefahrenabwehr zur Vorsorge gegen drohende Schäden“ der geänderten Wahrnehmung in der Bevölkerung Rechnung zu tragen, die dahin gehen könne, schon vor bloßen Belästigungen, verursacht durch Auseinandersetzungen mit Hunden, geschützt zu werden.
Die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg sah sich deshalb veranlasst, die Regelungen der Hundeverordnung „aus Gründen der Rechtssicherheit“ in ein Gesetz zu überführen.
In der amtlichen Begründung finden sich auch Einschätzungen des Gesetzgebers zur bisherigen Verordnungslage. So heißt es dort: „Die Vorschriften (gemeint ist die Hundeverordnung) haben sich bewährt und zu einer Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung geführt, so dass sich die Sicherheitslage in Hamburg deutlich verbessert hat.“
Jedoch soll das neue Hundegesetz ausweislich seiner Begründung auch einen Beitrag dazu leisten, „die Konflikte zu verringern, die durch das Halten von Hunden in einer Großstadt entstehen“. Der Gesetzgeber rechtfertigt damit zusätzliche präventive Vorschriften für alle Hundehalter, wie etwa die Anleinpflicht, und verweist abschließend auf das für ihn offenbar entscheidende Argument, wonach „jeder Hund ein domestizierter Wolf bleibt.“
Im Ergebnis bedeutet dies unter anderem, dass in Hamburg – als einzigem Bundesland – für nicht gefährliche Hunde, das heißt für Hunde, die weder durch ihre Abstammung noch durch ihr Verhalten Anlass zu konkreten Befürchtungen gegeben haben (im Folgenden: „sonstige Hunde“), ein allgemeiner Leinenzwang durch § 8 des Hundegesetzes eingeführt worden ist. Das allgemeine gesetzliche Verbot, einen Hund ohne Leine auszuführen, kann nur dadurch im Einzelfall gelockert werden, dass eine bestimmte Person, die mit einem bestimmten Hund eine Gehorsamsprüfung erfolgreich absolviert hat, eine Befreiung durch begünstigenden Verwaltungsakt erlangt hat und damit den Hund ohne Leinenzwang im Stadtgebiet ausführen kann („gehorsamsgeprüfter“ Hund, § 9 Abs. 1 Hundegesetz).
Eine punktuelle Ausnahme besteht lediglich in den „Hundeauslaufzonen“ in Hamburg. Es handelt sich dabei um eng begrenzte Teilflächen, die in aller Regel in öffentlichen Grünanlagen belegen sind und einen Bruchteil ihrer Fläche in Anspruch nehmen.
Grünflächen, Gärten, Kleingartengebiete, Wanderwege, Badeplätze sowie Strandflächen unterfallen in Hamburg dem Anwendungsbereich des Gesetzes über Grün- und Erholungsanlagen vom 18.10.1957 (HmbBL I 2133-a), soweit die Aufnahme einer Fläche durch den Senat im Amtlichen Anzeiger öffentlich bekannt gemacht worden ist. Dies ist praktisch hinsichtlich jeder Freifläche, die sich im Eigentum der Freien und Hansestadt befindet, in der Vergangenheit auch tatsächlich geschehen.
Nach § 1 Abs. 3 Nr. 6 der auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 des Gesetzes ergangenen Verordnung vom 26.08.1975 (GVBl 154) ist es nicht gestattet, in Grünanlagen Hunde ohne Leine laufen zu lassen, es sei denn, eine Teilfläche der Grünanlage ist als Hundeauslaufzone ausgewiesen. Derartige „Hundewiesen“ waren bereits vor Inkrafttreten in einigen Grünanlagen vorhanden.
Daneben sind zwischenzeitlich einige Hundeauslaufzonen auch außerhalb öffentlicher Grünanlagen ausgewiesen worden.
Eine Übersicht wird dem Gericht als
Anlage Bf 1
überreicht. Der Flächenanteil der Hundeauslaufzonen an der Gesamtfläche der Freien und Hansestadt Hamburg ist so gering, dass er vernachlässigt werden kann.
Für „gehorsamsgeprüfte Hunde“, die nach § 9 Abs. 1 Hundegesetz von der Anleinpflicht befreit sind, gibt es in den öffentlichen Grünanlagen weitere Abweichungen zum generellen Leinenzwang iSd § 1 Abs. 3 Nr. 6 der VO. Diese Möglichkeit sieht § 9 Abs. 3 Satz 2 Hundegesetz ausdrücklich vor. Auch diese Ausnahme setzt voraus, dass die Bezirke als die zuständigen Verwaltungsbehörden die Auslaufflächen für „gehorsamsgeprüfte Hunde“ in den öffentlichen Grünanlagen bestimmen und besonders kenntlich machen. Dies ist zwischenzeitlich in einigen Bezirken umgesetzt worden, die Ausnahmen betreffen dann in der Regel die gesamte Grünanlage und nicht – wie dies bei den Hundeauslaufzonen geschehen ist – eng begrenzte Teilflächen.
Anlage Bf 2
Die Einrichtung von Freilaufflächen für alle „sonstigen“ Hunde (§ 8 Abs. 3 Satz 1) sowie für die von der Anleinpflicht befreiten Hunde (§ 9 Abs. 3 Satz 2) ist durch eine Globalrichtlinie den Bezirken zur Pflicht gemacht (§ 46 Bezirksverwaltungsgesetz).
Anlage Bf 3
Von dem Ziel, eine ausreichende Anzahl von Hundeauslaufzonen iSd § 8 Abs. 3 Satz 2 auszuweisen (3.2 RL), sind die Bezirke weit entfernt. Ein Anspruch der Hundehalter auf Ausweisung einzelner Flächen als Hundeauslaufzone besteht nicht (§ 8 Abs. 3 Satz 3 Hundegesetz).
Es wurde bereits erwähnt, dass der allgemeine Leinenzwang auf Straßen und entsprechend ausgewiesenen Grünflächen entfällt, wenn der Hund von einer Person ausgeführt wird, die nach § 9 Hundegesetz von der Anleinpflicht befreit worden ist.
Die Befreiung wird in einem zweistufigen Verfahren erteilt (§ 9 Abs. 1): Zunächst muss ein amtlich bestellter Sachverständiger nach Durchführung eines Prüfverfahrens („Gehorsamsprüfung“) bescheinigen, dass der Antragsteller in der Lage ist, einen bestimmten Hund im Alltag unter Kontrolle zu halten. Die Ausnahmegenehmigung selbst wird dann von der zuständigen Behörde erteilt, wenn noch weitere Voraussetzungen vom Antragsteller erfüllt werden, die im einzelnen in § 13 Abs. 1 des Gesetzes aufgeführt sind (§ 9 Abs. 4). Zu ihnen gehört vor allem die Verpflichtung zur Weitergabe von personenbezogenen Daten, was unter anderem auch voraussetzt, dass der Hund zuvor durch einen „Transponder“ (Einpflanzung eines Mikrochips, § 6 Hundegesetz) fälschungssicher gekennzeichnet worden ist.
Die Befreiung von der Anleinpflicht, welche durch die erfolgreiche Gehorsamsprüfung und Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vermittelt wird, gilt nur für einen bestimmten Hund und für eine bestimmte Person, sie ist nicht übertragbar (§ 9 Abs. 3 S. 1). Das Gesetz sieht in § 9 Abs. 2 vor, dass sowohl die Abnahme der Gehorsamsprüfung als auch die Erteilung der Ausnahmegenehmigung durch Private erfolgen können.
II. Auswirkungen des Gesetzes auf die Beschwerdeführerinnen
Die Beschwerdeführerinnen empfinden den gesetzlich begründeten Leinenzwang durch das Hundegesetz als unzulässige Beeinträchtigung ihrer Grundrechte.
Sie sind Eigentümerinnen von Hunden, von denen bisher auch nicht im Ansatz Belästigungen gegenüber Dritten ausgegangen sind. Die Beschwerdeführerinnen beanstanden den Leinenzwang als solchen einschließlich der flankierenden Belastungen, mit denen der Gesetzgeber das Gebot verstärkt. Eine Befreiung kommt für die Beschwerdeführerinnen wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung ihres informationellen Selbstbestimmungsrechts nicht in Betracht.
1. Die Beschwerdeführerinnen
Die Beschwerdeführerin zu 1 ist Eigentümerin eines vierjährigen Mischlinghundes mit einer Schulterhöhe unter 35 cm. Bei dem Hund der Beschwerdeführerin zu 2 handelt es sich um einen 4 Jahre alten Kleinspitz. Beide Hunde sind typische „Schoßhunde“, die eher ängstlich sind und Menschen noch niemals in irgendeiner Form belästigt haben. Die Beschwerdeführerin zu 3 ist Eigentümerin eines Gordon Setter im Alter von 4 Jahren und damit eines Hundes, dessen Rasse als besonders friedfertig gilt. Irgendwelche Beißvorfälle sind bei diesen Hunden bisher nicht festgestellt worden und auch in der wissenschaftlichen Literatur nicht behandelt worden.
Alle drei Beschwerdeführerinnen sind Einwohnerinnen des Bundeslandes Hamburg. In der Umgebung ihrer Wohnungen befinden sich keine Hundeauslaufzonen iSd § 8 Abs. 3 Hundegesetz.
2. Auswirkungen des Gesetzes
Die Beschwerdeführerinnen sind dadurch in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt, dass sie ihre Hunde außerhalb des eigenen eingefriedeten Besitztums bzw. außerhalb ihrer Wohnungen nur an einer reißfesten Leine führen dürfen (§ 8 Abs. 1 Hundegesetz).
Eine zusätzliche Einschränkung ergibt sich für sie daraus, dass sie den Besitz Dritter nur betreten dürfen, wenn sich der Hund an der Leine befindet, zumal eine Zustimmung des Inhabers des Hausrechts, der eine Freistellung erklären könnte, häufig nicht im Vorwege zu erlangen ist. Die Regelung des § 8 Abs. 1 macht es den Beschwerdeführerinnen schließlich unmöglich, ihre Hunde Kindern mitzugeben. Denn nach § 8 Abs. 1 Satz 3 muss die Aufsichtsperson körperlich und geistig in der Lage sein, den Hund sicher an der Leine zu halten.
Die Beschwerdeführerinnen können den freien Auslauf ihrer Hunde auch nicht dadurch erreichen, dass sie den Hund geeigneten Personen überlassen. Denn auch diese Person muss den Hund angeleint ausführen, es sei denn, sie verfügt – bezogen auf den konkreten Hund – über eine Ausnahmegenehmigung.
Diese grundsätzliche Anleinpflicht wird durch flankierende Vorschriften im Gesetz verschärft.
Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ist die Länge der Leine auf 2 m zu begrenzen, wenn der Hund in der Vergangenheit unter anderem Tiere „anhaltend angebellt“ hat. Dies können die Beschwerdeführerinnen für ihre Hunde nicht ausschließen. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 macht die Beschränkung der Länge der Leine auf 2 m auch dann zur Pflicht, wenn die Hunde in unmittelbarer Nähe von Schulen, Spielplätzen, Kinder- und Jugendeinrichtungen mitgeführt werden. Diese Verpflichtung gilt unabhängig davon, ob die genannten Einrichtungen tatsächlich entsprechend dem angestrebten Schutzzweck genutzt werden.
Trotz der Anleinpflicht müssen die Hunde fälschungssicher gekennzeichnet werden (§ 11 Abs. 1). Eine Befreiung von der Anleinpflicht ohne Kennzeichnung durch Transponder ist ausgeschlossen. Die Hunde müssen außerhalb des eigenen räumlichen Bereichs der Beschwerdeführerinnen stets ein geeignetes Halsband oder Brustgeschirr tragen (§ 11 Abs. 2) , so dass selbst in fremden Wohnungen, auch bei Befreiung von der Anleinpflicht durch den Inhaber des Hausrechts, diese Verpflichtung stets zur Geltung kommt.
Obwohl die Hunde stets an der Leine geführt werden müssen, sind die Beschwerdeführerinnen verpflichtet, gegenüber der zuständigen Behörde eine Reihe von Daten bekannt zu machen, was der Gesetzgeber mit einer automatischen Anmeldung zur Hundesteuer verbunden hat (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-5 iVm § 13 Abs. 1 Satz 2). Die Verpflichtung, die Daten auf aktuellem Stand zu halten, wird den Hundehaltern nach § 13 Abs. 2 auferlegt. Die Befreiung von der Anleinpflicht ist an die Erfüllung dieser Vorgaben geknüpft.
Besonders schwerwiegend sind die reaktiven Maßnahmen, die der Gesetzgeber für den Fall vorgesehen hat, dass gegen die umschriebenen gesetzlichen Pflichten verstoßen wird. Nach § 23 Abs. 3 kann das Halten eines Hundes – nach dem Gesetzeswortlaut: unbefristet – untersagt werden. Abs. 4 sieht vor, dass ein entsprechendes Verbot auch auf das Führen eines Hundes bezogen werden kann. Die Untersagung kann auf alle künftigen Hundehaltungen und Führungen ausgedehnt werden, wenn mehrfach gegen die Anleinpflicht verstoßen worden ist (§ 23 Abs. 5).
Zugleich kann die Behörde den Verstoß gegen die Anleinpflicht auch dadurch sanktionieren, dass sie den Hund sicherstellt (§ 23 Abs. 9). Widerspruch und Klage gegen all diese Anordnungen haben keine aufschiebende Wirkung (§ 23 Abs. 13).
Wird im Fall des mehrfachen Verstoßes gegen die Anleinpflicht das Verbot ausgesprochen, den Hund zu halten, kann die zuständige Behörde dessen Einziehung anordnen (§ 23 Abs. 10). Zugleich steht mit § 27 des Gesetzes ein repressives Instrumentarium bereit. Als Ordnungswidrigkeit gilt sowohl der vorsätzliche als auch der fahrlässige Verstoß gegen die Bestimmungen des Gesetzes. Geldbußen können bis zu einem Betrag von 50.000 € ausgesprochen werden, wobei das Tatmittel und damit der Hund eingezogen werden kann.
Nach § 24 Abs. 1 Nr. 13 werden Verstöße gegen die Anleinpflicht in einem Zentralen Register in nicht anonymisierter Form gespeichert. Der Gesetzgeber geht allerdings davon aus, dass die Eintragungen zeitlich zu befristen sind. Die Ausgestaltung der damit zusammenhängenden Fragen, namentlich die Festlegung von Prüftermin und die Pflicht zur Löschung, hat der Gesetzgeber offen gelassen und auf den Verordnungsgeber übertragen.
Durch die weit gehende Ausgestaltung von Anordnungsbefugnissen im Fall des Verstoßes gegen die generelle Anleinpflicht unter der gleichzeitig geregelten generellen Erschwerung des Rechtsschutzes durch eine umfassende Bestimmung iSd § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO sowie durch den mit der Anleinpflicht und deren Sanktionierung verbundenen uneingeschränkten Zugriff auf die personenbezogenen Daten wird der Eingriff verstärkt, den die Anleinpflicht als solche für die Beschwerdeführerinnen begründet.
B. Zulässigkeit der Rechtssatzverfassungsbeschwerde
Die Beschwerdeführerinnen werden durch die gesetzlich begründete Anleinpflicht und die Art ihrer Durchsetzung in Grundrechten betroffen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG iVm §§ 13 Nr. 8a, 90 ff BVerfGG).
I. Beschwerdebefugnis
Die Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerinnen leitet sich aus Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ab.
1. Art. 2 Abs. 1 GG
Die Beschwerdeführerinnen können behaupten, durch die gesetzliche Bestimmung unmittelbar in ihrem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG betroffen zu sein. Der Leinenzwang gilt nach Maßgabe des § 8 Hundegesetz, ohne dass es eines behördlichen Vollzuges bedarf.
Auch wenn die Hunde im Eigentum der Beschwerdeführerinnen stehen, stellt sich der Leinenzwang nicht als Einschränkung des Eigentums, sondern als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit dar.
Zwar wird im Regelfall der Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG durch den Anwendungsvorrang der speziellen Freiheitsrechte verdrängt. Das kann aber nicht gelten, wenn eine freiheitseinschränkende Maßnahme den stärkeren Bezug zur allgemeine Handlungsfreiheit aufweist. Die Anleinpflicht trifft jeden, der den Hund ausführt. Die Beschränkungen, denen eine Person unterfällt, wenn sie einen Hund angeleint ausführen muss, betreffen nicht den Freiraum in vermögensrechtlicher Hinsicht und damit die Dispositionsfreiheit über einen Eigentumsgegenstand, sondern die freie Entfaltung der Persönlichkeit.
2. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG
Der Leinenzwang bei Hunden bewirkt allerdings auch eine Veränderung der Persönlichkeit des Tieres. Zudem hat der Leinenzwang Auswirkungen auf die Gesundheit eines Hundes, die durch den grundsätzlichen Leinenzwang Schaden nimmt. Unter dieser Maßgabe ist auch die Eigentumsordnung betroffen.
Die Beschwerdeführerinnen können sich insoweit auf den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in seiner Funktion als Bestandsgarantie berufen. Indem der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für die Haltung „sonstiger Hunde“ im Vergleich zur zuletzt geltenden Hundeverordnung durch den allgemeinen Leinenzwang wesentlich verschärft hat, hat er die Freiheit der Beschwerdeführerinnen auch in vermögensrechtlicher Hinsicht eingeschränkt und ihren Eigentumsbestand geschmälert, weil der Hund durch den Leinenzwang Schaden nimmt.
3. Art. 3 Abs. 1 GG
Mit dem Gleichheitssatz ist es unvereinbar, dass es in Hamburg „Freilaufmöglichkeiten für geprüfte Hunde in den Bezirken“ gibt mit der Folge, dass bestimmte Auslaufzonen für alle Hunde, andere Freilaufmöglichkeiten in öffentlichen Grünflächen hingegen nur für Personen gelten, die bezogen auf den ausgeführten Hund eine Genehmigung nach § 9 Abs. 1 Hundegesetz vorweisen können. Diese vom Gesetz unmittelbar begründete Differenzierung ist willkürlich und beeinträchtigt damit das Gleichheitsrecht der Beschwerdeführerinnen.
4. Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG
Die gesetzliche Anleinpflicht wird flankiert von normativen Bestimmungen, die einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 1 GG) und in die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG mit sich bringen.
Die Beschwerdeführerinnen wollen eine Befreiung von der Anleinpflicht auch deshalb nicht beantragen, weil spätestens dann personenbezogene Daten der Behörde bekannt gegeben werden müssen. Dazu kommt die Verpflichtung, den Hunden Transponder einzupflanzen. Auch die weitere Datenverarbeitung ist mit unzulässigen Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung der Beschwerdeführerinnen verbunden. Schließlich wird ihr Rechtschutz dadurch erschwert, dass alle Ordnungsverfügungen, die auf Verstöße gegen das Hundegesetz gestützt werden, sofort vollziehbar iSd § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO sind.
Die Beschwerdeführerinnen wenden sich in erster Linie gegen die gesetzliche Verpflichtung, ihre Hunde anzuleinen. Sie empfinden die gesetzliche Vorgabe in ihrer Koppelung mit der Ausnahmeregelung als unverhältnismäßigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Schwere des Eingriffs wird durch die vorgenannten flankierende Maßnahmen der Datenerhebung und Verarbeitung sowie der Einschränkung des Rechtsschutzes verstärkt. Das schließt es nicht aus, dass die Beschwerdeführerinnen durch die Bestimmungen des Hamburgischen Hundegesetzes auch unmittelbar in den genannten Grundrechten betroffen sind und dies mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen können.
II. Rechtswegerschöpfung/Subsidiarität
Die grundsätzliche prozessuale Vorgabe, vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde den Rechtsweg auszuschöpfen (§ 90 Abs. 2 BVerfGG), kann den Beschwerdeführerinnen gegenüber nicht geltend gemacht werden, weil ihnen maßnahmespezifischer Primärrechtsschutz nicht zur Seite steht. Die behaupteten Grundrechtsbeeinträchtigungen werden durch den Gesetzgeber unmittelbar mit § 8 Abs. 1 des Hamburgischen Hundegesetzes eingeführt, ohne dass für die beanstandete allgemeine Anleinpflicht ein Vollzugsakt vorgesehen ist oder ergehen könnte.
Die Verfassungsbeschwerde gegen eine Rechtsvorschrift kann auch bei unmittelbarer Betroffenheit wegen des Grundsatzes der Subsidiarität unzulässig sein, wenn in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangt werden kann. Dieser ursprünglich für untergesetzliche Rechtsvorschriften entwickelte Grundsatz kann auch bei Gesetzen zum Tragen kommen, hier allerdings nur, wenn – mit Blick auf Art. 100 GG – die Verweisung auf indirekten Rechtsschutz möglich und zumutbar ist und eine Vorprüfung durch die Fachgerichte tatsächlich zu der mit dem Grundsatz der Subsidiarität angestrebten Entlastung des BVerfG beitragen kann (BVerfG – 14.7.2006 – 1 BvR 1017/06 – Juris).
Die Beschwerdeführerinnen rügen die Verfassungswidrigkeit eines nachkonstitutionellen Gesetzes. Die Verwerfungskompetenz liegt nach Art. 100 GG beim BVerfG. Würden die Beschwerdeführerinnen auf eine verwaltungsgerichtliche Klage verwiesen werden, die mit dem Antrag zu erheben wäre, festzustellen, dass der jeweilige Hund nicht der Anleinpflicht unterfällt, wäre dies nicht zumutbar, weil nach diesem „Umweg“ ohnehin eine Vorlage an das BVerfG erfolgen müsste.
Das wäre anders, wenn sich der behauptete Grundrechtsverstoß durch eine verfassungskonforme Auslegung überwinden ließe. Denn dies wäre eine Aufgabe, die von den Fachgerichten bewältigt werden kann.
Die Regelung des § 8 Abs. 1 Hundegesetz eröffnet indes keinerlei Spielräume. Es finden sich keine auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffe im Tatbestand der Vorschrift, auch die Rechtsfolge ist zwingend geregelt und gibt der Verwaltung keine Entscheidungsspielräume. Angesichts der aufgeführten flankierenden Instrumentarien (Bußgeldbewehrung, Einziehung, sofortige Vollziehbarkeit von Ordnungsverfügungen) kann es den Beschwerdeführerinnen ohnehin nicht angesonnen werden, zunächst das Risiko rechtlicher Verstöße auf sich zu nehmen.
Schließlich kann die Verwaltungsgerichtsbarkeit in einem derartigen Prozess den Tatsachenstoff nicht in einer Weise aufarbeiten, die es dem BVerfG ermöglichen würde, sich – etwa nach einer Urteilsverfassungsbeschwerde – auf die grundrechtspezifischen Fragen zu beschränken. Denn die Frage, ob die Grundrechtssphäre durch einen allgemeinen Leinenzwang für Hunde eingeschränkt werden kann, setzt eine derartige Vorbereitung nicht voraus und ist davon auch nicht abhängig. Es handelt sich vielmehr um eine Rechtsfrage, die allein auf der Ebene des Verfassungsrechts ihre Beantwortung findet.
C. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, weil die beanstandete Anleinpflicht und die sie flankierenden Instrumentarien die Beschwerdeführerinnen in ihren Grundrechten verletzen.
I. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Die allgemeine Handlungsfreiheit ist deshalb verletzt, weil das Hundegesetz in unverhältnismäßiger und zudem objektiv verfassungswidriger Weise den Beschwerdeführerinnen das Anleinen ihrer Hunde zur Pflicht macht.
1. Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG
Der Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG wird nicht erst dann gewährleistet, wenn der abzuwehrende Eingriff in seiner Intensität und Auswirkung die Bedeutung erlangt, welche die benannten Freiheitsrechte der Art. 2 Abs. 2, Art. 4 ff GG für die Aktivierung ihres Schutzes voraussetzen (so aber Grimm in BVerfGE 80, 137, 164, 169/170). Vielmehr schützt Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinn (so die Mehrheitsentscheidung im Beschluss des Gerichts vom 06.06.1989 – 1 BvR 921/85 – BVerfGE 80, 137, 152/153 m.w.N.).
Danach ist die Verpflichtung, einen Hund im öffentlichen Raum anzuleinen, eine den Verantwortlichen treffende individuelle Belastung, die angesichts der flankierenden Instrumentarien, die der Durchsetzung der Anleinpflicht dienen, nicht als bloße Bagatelle abgetan werden kann. Immerhin kann ein Verstoß gegen die Anleinpflicht mit Geldbußen bis zu 50.000 € geahndet werden und zur Einziehung des Hundes führen.
2. Keine Eingriffsrechtfertigung
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, weil § 8 Abs. 1 Hamburgisches Hundegesetz nicht Ausdruck der verfassungsmäßigen Ordnung ist, so dass der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nicht gerechtfertigt ist.
Die Vorschrift wäre Ausdruck der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG, wenn sie formell und materiell verfassungsgemäß wäre und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht würde (BVerfGE 80, 137, 153). Die allgemeine Anleinpflicht für Hunde ist unverhältnismäßig. Sie ist auch im übrigen materiell mit der Verfassung nicht vereinbar, da sie der in Art. 20 a GG genannten Zielvorstellung „Tierschutz“ widerspricht.
a) Unverhältnismäßigkeit des § 8 Abs. 1 Hundegesetz
Der Gesetzgeber darf die allgemeine Handlungsfreiheit im Interesse des Gemeinwohls und nur zur Lösung solcher Sachaufgaben beschränken, die ein Tätigwerden des Gesetzgebers überhaupt zu rechtfertigen vermögen.
aa) Der Gesetzgeber muss den Eingriff in das Grundrecht mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls begründen können (BVerfG vom 16.03.1971 – 1 BvR 52 u. a./66 – BVerfGE 30, 292, 316/317).
Aus dem Demokratieprinzip folgt andererseits aber auch eine weitreichende Einschätzungsprärogative des Parlaments. Der Gesetzgeber besitzt aufgrund seiner Legitimation eine weit gehende Zwecksetzungskompetenz. In der repräsentativen Demokratie ist es sein Recht, die Interessen, die er als Gemeinschaftsinteressen erkennt, auch zu Lasten einzelner Grundrechtsträger umzusetzen.
In welchem Umfang dabei das Anliegen des Gesetzgebers und damit die im vorliegenden Fall zusammenhängende Frage nach der Eignung seiner Maßnahme durch das BVerfG überprüft werden kann, hängt von der Eigenart der in Rede stehenden Materie ab (BVerfG vom 09.03.1994 – 2 BvL 43 u.a./92 – BVerfGE 90, 144, 173).
Geht es etwa um wirtschaftspolitische Einschätzungen, ist der Prognosespielraum besonders weit (BVerfGE 30, 292, 317). Ebenso ist es, wenn der Gesetzgeber grundrechtliche Schutzpflichten erfüllen will (BVerfGE 77, 170, 215; 88, 203, 262/263). Dagegen nimmt die Kontrolldichte zu, je mehr die Freiheitsrechte in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte betroffen sind. Demgemäß hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit bei der Beurteilung von Prognosen des Gesetzgebers differenzierte Maßstäbe zu Grunde gelegt, die von einer Evidenzkontrolle über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen (BVerfGE 50, 290, 333 m.w.N.).
Die generelle Anleinpflicht für Hunde beinhaltet einen klassischen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit.
Der Gesetzgeber nimmt dabei keine grundrechtlichen Schutzpflichten wahr – im Gegenteil: Die Vorgeschichte, die zur Ausformung der Halterpflichten durch das Gesetz geführt hat, macht deutlich, dass sich der beabsichtigte Schutz im Vorfeld konkreter Gefahren bewegt. Der Gesetzgeber spricht selbst von „Belästigungen“ zur Begründung der Anleinpflicht (§ 9 Abs. 1 Satz 1) und damit von Beeinträchtigungen, die unterhalb der polizeilichen Gefahrenschwelle liegen. Dies wird durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes bestätigt.
Grundrechtliche Schutzpflichten können hingegen erst Bedeutung bei polizeirechtlich relevanten Gefahrenlagen gewinnen. Hinzutreten muss eine Gefährdungslage für besonders hochwertige Rechtsgüter, kennzeichnend ist auch, dass der Betroffene auf die Hilfe durch den Staat angewiesen ist (BVerfGE 39, 1; 88; 46, 160, 164; 49, 89, 142; 53, 25, 57; 56, 54, 79; 77, 170, 214; 114, 73, 97). Dies alles hat mit der Anleinpflicht nichts zu tun.
Der hamburgische Gesetzgeber spricht zur Rechtfertigung der Regelung in der amtlichen Begründung vom Zuwachs der Tierhaltung in einer „Metropolregion“ und davon, dass „dies durchaus zu Konflikten führen“ könne. Der Gesetzgeber bezieht sich auf ein „Besorgnispotenzial“, das vom BVerwG in seiner Entscheidung vom 03.07.2002 (6 CN 8.01 – BVerwGE 116, 347) diagnostiziert worden sei. Zwar habe sich hinsichtlich der Vorfälle mit Hunden „die Sicherheitslage in Hamburg deutlich verbessert“, die allgemeine Anleinpflicht sei gleichwohl gerechtfertigt, weil mit dem Halten eines Hundes auch „nicht kalkulierbare Gefährdungen verbunden“ sein könnten, „weil jeder Hund ein domestizierter Wolf bleibt.“
Diese Erwägungen des Gesetzgebers sind in sich widersprüchlich und werden dem oben entwickelten Kontrollmaßstab nicht gerecht. Sie rechtfertigen nicht die Einführung einer allgemeinen Anleinpflicht und sind deshalb auch ungeeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen.
Der Widerspruch tritt offen zu Tage, wenn der Gesetzgeber davon spricht, dass die Gefährdungslage in Hamburg zurückgegangen sei, er sich aber gleichzeitig veranlasst sieht, die sicherheitsrechtlichen Anforderungen dadurch zu verschärfen, dass er eine allgemeine Anleinpflicht einführt. Dieser innere Widerspruch wird nicht dadurch entkräftet, dass der Gesetzgeber eine allgemeine Bedrohungskulisse durch den Hinweis auf die Abstammung des Hundes vom Wolf aufzubauen versucht.
Es wird nicht bestritten, dass der Hund vom Wolf abstammt – ebenso übrigens wie die Tatsache, dass der Mensch auf den Affen zurückgeht. Die Trennung zwischen Hund und Wolf erfolgte vor zirka 100.000 Jahren (Gutachten S. 2).
Anlage Bf 4
Entscheidend für die Feststellung des hinter der Regelung stehenden öffentlichen Interesses und damit auch der Eignung ist allein die Gefahrenlage, die heute besteht. Mit dem Hinweis auf die Abstammung des Hundes ist deshalb nichts gewonnen.
Es gibt keinerlei verlässliche Statistiken darüber, in welchem Umfang der Normalhund, der Schoßhund, der Familienhund oder ein sonstiger typischer Stadthund an den Konflikten beteiligt ist, von denen der hamburgische Gesetzgeber spricht.
Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, als habe der Gesetzgeber die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, die Anlass für das Gesetzesvorhaben waren, in gewisser Weise missverstanden.
Streitgegenstand jener Entscheidung war eine Verordnung zur Gefahrenabwehr. Nach den befugnisbegründenden Vorschriften in den allgemeinen Ordnungsbehördengesetzen der Länder kann eine Verordnung zur Gefahrenabwehr nur ergehen, wenn es um die Abwehr einer „klassischen“ Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung geht. Einer Anscheinsgefahr kann mit einer ordnungsbehördlichen Verordnung ebenso wenig begegnet werden wie einer bloßen Belästigung, die sich unterhalb der Gefahrenschwelle bewegt. Darauf bezogen sich die Feststellungen des BVerwG.
Die Aussage des Gerichts, dass normative Regelungen der Gefahrenvorsorge angesichts dieser Befugnisbegrenzung im allgemeinen Ordnungsrecht nur durch den parlamentarischen Gesetzgeber eingeführt werden können, ist folgerichtig, beinhaltet aber nicht zugleich die erforderliche Rechtfertigung dafür, dass jedes Gesetz, dass der Gefahrenvorsorge bei Hundehaltung dient, verfassungsgemäß ist.
Mit seiner Formulierung konnte und wollte das BVerwG den Gesetzgeber zum Beispiel nicht von seiner Verpflichtung frei stellen, bei der Regelung der Gefahrenvorsorge die Grundrechte der Normadressaten zu beachten. Ob und inwieweit ein Hundegesetz geeignet und im übrigen verhältnismäßig ist, zur Gefahrenvorsorge bestimmte Pflichten zu begründen, ist die im vorliegenden Verfahren entscheidende Frage – eine Frage, zu der das BVerwG jedenfalls keine Aussagen getroffen hat. Der hamburgische Gesetzgeber durfte somit die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht als Freibrief dafür verstehen, zur Gefahrenvorsorge eine allgemeine Anleinpflicht für Hunde einzuführen.
Zwar ist nur der Gesetzgeber fähig, auf neue Entwicklungen – wie etwa die zunehmende Em-pfindlichkeit der Bevölkerung gegenüber Hunden, die im Vorfeld einer Gefahr liegt – zu reagieren. Aber – und genau dies hat der hamburgische Gesetzgeber außer Acht gelassen – auch er hat dabei die Wechselwirkung zu den betroffenen Freiheitsrechten zu beachten. Die Erwähnung des Gesetzgebers in der Entscheidung des BVerwG als solche reicht somit nicht aus, den Anlass für Einschränkungen und damit für einen Grundrechtseingriff zur Gefahrenvorsorge zu legitimieren.
Das BVerwG hat als Anwendungsfälle für gesetzliche Regelungen der Gefahrenvorsorge vielmehr auf das BBodSchG, auf das GenTG, auf das BImSchG und auf das Atomgesetz verwiesen. Es handelt sich dabei um Bereiche, die auch nicht ansatzweise vergleichbar sind mit der hier zu beurteilenden Frage, inwieweit einer von unangeleinten Hunden ausgehenden Belästigung in einer „Metropolregion“ durch Grundrechtseingriffe entgegengewirkt werden kann. Stattdessen geht es bei den vom BVerwG angesprochenen Materien um Bereiche, bei denen die möglichen Gefahren in ihrer Intensität und Breitenwirkung nicht abschätzbar sind. Gegenstand dieser Gesetze ist der Schutz vor neuartigen Gefahren, deren exakte Einschätzung dem handelnden Gesetzgeber trotz Hinzuziehung wissenschaftlicher Unterstützung nicht möglich war. Das allerdings rechtfertigt es, schon die Gefahrenvorsorge in das gesetzliche Instrumentarium mit einzubeziehen.
Je bedeutsamer das bedrohte Schutzgut ist, um so früher kann die Abwehr der Gefahr ansetzen. Je verbreiteter die Auswirkungen eines möglichen Schadens sind und je weniger sich der Einzelne davor schützen kann, umso mehr ist es Sache des Staates, schon auf der Ebene der Gefahrenvorsorge tätig zu werden (BVerfG vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89, 142 ff). Im Bereich von Bodenschäden, der ungeklärten Risiken durch Gentechnologie, der mangelnden Eingrenzung von Strahlenschäden sowie der grenzüberschreitenden Breitenwirkung und Spätfolgen von Immissionen durch Großanlagen geht es um einen derartigen frühzeitigen Schutz vor extremen Gefährdungslagen, bei denen sich der eigentliche Störfall einer genauen Einschätzung entzieht.
Es ist nicht zu verkennen, dass die Toleranz zwischen unterschiedlichen Interessengruppen – wie etwa zwischen Rauchern und Nichtrauchern, zwischen Hundehaltern und denjenigen, die sich durch Hunde belästigt fühlen – in den letzten Jahren abgenommen hat. Es kann auch nicht bestritten werden, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative einer sich wandelnden Sensibilität der Bevölkerung Rechnung tragen kann. Bedient er sich jedoch dabei im Vorfeld einer Gefahr eines gesetzlichen Ge-/Verbots wie hier der allgemeinen Anleinpflicht und damit eines klassischen Grundrechtseingriffs, dann muss das verfolgte öffentliche Interesse in sich schlüssig und tragfähig sein, um die vorgenommene Einschränkung zu rechtfertigen.
Geht es um die Einschätzung und Vorsorge bei neuartigen Gefahrenlagen mit der oben geschilderten Breitenwirkung und Intensität wie etwa im Atomrecht oder in der Gentechnologie, stehen staatliche Schutzpflichten im Vordergrund mit der Folge, dass dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum zuzugestehen ist, der nur durch eine Evidenzkontrolle begrenzt ist. Die Abwehr von Belästigungen durch „sonstige“ Hunde, die nicht § 2 des Hamburgischen Hundegesetzes unterfallen, aber einem allgemeinen Leinenzwang unterworfen werden, betrifft hingegen einen Sachbereich, bei dem alle Erkenntnisse zu Tage liegen.
Es geht nicht um unkalkulierbare Schäden, sondern um die Verhinderung von – seit Jahrhunderten bekannten – Belästigungen. Mit Blick auf die zunehmende Empfindlichkeit bestimmter Bevölkerungsteile will der Gesetzgeber mit dem Mittel eines klassischen Eingriffs für diese Personengruppe, die vermutlich in ihrem Umfang zahlenmäßig nicht an die Anzahl der Hundebesitzer heranreicht, dem Zeitgeist Rechnung tragen.
Dies aber bedingt, dass sich der Gesetzgeber bei der Überprüfung seines Anliegens einer weit gehenden Vertretbarkeitskontrolle unterwerfen muss. Die Begründung des hamburgischen Gesetzgebers ist in sich widersprüchlich und bezogen auf den Interessenkonflikt, um dessen Vermeidung es geht, völlig unzureichend. Es fehlen Hinweise, inwieweit Beißvorfälle in der Vergangenheit durch gefährliche Hunde iSd § 2 oder durch jene „sonstigen Hunde“ ausgelöst worden sind, die dem Anwendungsbereich des § 8 Hundegesetz unterfallen. Soweit sich der Gesetzgeber veranlasst sah, Belästigungen entgegenzuwirken, fehlen nähere Angaben, Zahlenmaterial, Erhebungen und Statistiken, die es ermöglichen würden, nach der inneren Rechtfertigung einer allgemeinen Anleinpflicht zu fragen. Die Feststellung in der amtlichen Begründung, dass aufgrund der bisherigen Verordnungen die Anzahl der Zwischenfälle zurückgegangen sei, rechtfertigt es jedenfalls nicht, mit der Einführung eines allgemeinen Leinenzwangs den Grundrechtseingriff zu verschärfen.
Wie das Gutachten deutlich macht, kann eine allgemeine Anleinpflicht das Gegenteil dessen bewirken, was sich der Gesetzgeber zum Ziel gesetzt hat. Es ist durchaus denkbar, dass ein Tier, für das freie Bewegung und Geruchsaufnahme zentrale Bedeutung haben, durch den Leinenzwang genau den Charakter annimmt, der zu den vom Gesetzgeber angenommenen Konflikten führen würde: Die Tiere werden bissig, weil sie nicht mehr artgerecht gehalten werden.
In diese Richtung gehen auch Einschätzungen des OVG Lüneburg für eine vergleichbare Fallgestaltung, die ihren Niederschlag in einer Entscheidung vom 27. Januar 2005 (11 KN 38/04 – zitiert nach Juris) gefunden haben, in der es unter anderem heißt:
Soweit aus der Statistik des Ortsgesetzgebers folgt, dass auch angeleinte Hunde gebissen haben, „belegt dieses nicht unbedingt die Notwendigkeit eines Leinenzwanges, sondern kann ebenso gut belegen, dass angeleinte Hunde häufig angriffsbereiter sind (vgl. hierzu Dr. Feddersen Petersen, Ein schwerer Verstoß gegen das TierSchG, GA Bl. 71)…..“
Es ist somit nicht vertretbar, das vom Gesetzgeber diagnostizierte öffentliche Interesse in der geschehenen Weise umzusetzen. Das Gesetz dient offensichtlich der Erleichterung staatlicher Überwachungsaufgaben und verfolgt damit eine unzulässige Zwecksetzung.
bb) Selbst wenn man die Eignung der allgemeinen Anleinpflicht des § 8 Hundegesetz durch vernünftige Gemeinwohlerwägungen rechtfertigen könnte, wäre die Bestimmung gleichwohl verfassungswidrig, weil sie sich nicht auf den geringstmöglichen Eingriff beschränkt. Die vom Gesetzgeber angenommene Belästigung durch Hunde, die nicht § 2 unterfallen, lässt sich auch in einfacherer, gleich wirksamer, aber die Grundrechte weniger fühlbar einschränkender Weise erreichen.
Dabei sind sich die Beschwerdeführerinnen bewusst, dass sie die Erforderlichkeit nicht schon dadurch infrage stellen können, dass sie überhaupt Alternativmöglichkeiten aufzeigen. Denn die aus dem Demokratieprinzip folgende Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers schließt es ein, dass er nach Maßgabe seiner Ordnungsvorstellungen zwischen mehreren gleichermaßen geeigneten Möglichkeiten wählen kann. Das eingesetzte Instrumentarium – hier: der allgemeine Leinenzwang in Verbindung mit der Freistellungsmöglichkeit durch die Gehorsamsprüfung – ist aber deshalb nicht erforderlich, weil weniger belastende Alternativen so eindeutig in Betracht kommen, dass von Verfassungs wegen der vom Gesetzgeber gewählte weitergehende Weg verschlossen bleibt.
(1) Der Gesetzgeber versucht den Konflikt durch die Einführung eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt zu bewältigen.
Um etwaigen Kollisionslagen von vornherein entgegenzutreten, ist es danach kraft Gesetzes verboten, Hunde ohne Leine laufen zu lassen.
Die Genehmigung zur Freistellung vom Leinenzwang ist an eine Reihe von Voraussetzungen gebunden, deren Erfüllung nach Einschätzung des Gesetzgebers Gewähr dafür bietet, dass die angenommenen Konflikte weitgehend ausbleiben. Auf den ersten Blick erscheint somit das Verbotsgesetz des § 8 Abs. 1 als nicht besonders weit gehend, weil praktisch jeder Hundehalter sich um die Befreiung vom Leinenzwang durch Ablegung der Gehorsamsprüfung bewerben kann.
Tatsächlich wird es vielfach bei dem gesetzlichen Verbot bleiben. Denn die Ausnahmegenehmigung ist von einem aufwändigen Prüfungsverfahren abhängig, betrifft einen bestimmten Hund und ist individuell auf eine bestimmte Person beschränkt. Außerdem wird die Ausnahmegenehmigung nur erteilt, wenn der Antragsteller mit erheblichen Eingriffen in seine informationelle Selbstbestimmung einverstanden ist und damit auch die weitere Datenverarbeitung in Kauf nimmt (§§ 9 Abs. 4 Satz 1, 13 Abs. 1, 24 Hundegesetz).
Ein geringerer Eingriff als ein in dieser Weise ausgestaltetes präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ist die Beibehaltung eines reaktiven Eingriffsinstrumentariums, wie dies bisher in Hamburg der Fall war und in allen übrigen Bundesländern auch tatsächlich praktiziert wird. Der Gesetzgeber hat indes auch den Verwaltungsaufwand und die Praktikabilität einer Regelung in Rechnung zu stellen, er darf pauschalieren und Lösungen ansteuern, die vereinfachend sind, auch wenn der Grundrechtsbetroffene dadurch stärker belastet wird. Diese – in vielen Fällen die Einführung eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt rechtfertigenden – Gesichtspunkte vermögen den allgemeinen Leinenzwang jedoch nicht zu tragen.
In Hamburg hat es bei einer Gesamtzahl von knapp 40.000 Hunden – laut Aussagen des Senats auf die Anfragen in der Bürgerschaft – 1998 477, 1999 596, 2001 292 und im Jahre 2002 564 Vorfälle mit Hunden gegeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass weder die Anzahl dieser Vorfälle, noch die Anzahl aller in Hamburg befindlichen Hunde verlässlich dokumentiert ist.
Einem reaktiven Eingriffsinstrumentarium wird regelmäßig der Nachteil entgegengehalten, der sich daraus ergibt, dass es dem Staat praktisch nicht möglich ist, neben jeden „Störer“ im polizeirechtlichen Sinne einen „Polizisten“ zu stellen. Angesichts der geringen Zahl der aufgeführten Vorfälle bezogen auf die Gesamtsumme der Hunde erscheint dies auch nicht erforderlich, ausreichend wäre es, wenn ein Leinenzwang auf bestimmte gefahrengeneigte örtliche Bereiche beschränkt bliebe und im übrigen eine mobile Sonderordnungsbehörde für die Überwachung typischer Gefahrenlagen geschaffen würde. Wären zugleich Verstöße gegen diese Vorgaben in spürbarer Weise als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten ausgestaltet und würden sie auch tatsächlich als solche verfolgt werden, würde der angestrebte Erfolg auch ohne einen allgemeinen Leinenzwang eintreten.
Die vom Gesetzgeber gewählte Alternative ist im Vergleich dazu nicht nur mehr belastend, sondern auch aufwändiger. Denn die Durchführung der Gehorsamsprüfung in Verbindung mit der Überwachung des gesetzlichen Verbots erfordert insgesamt einen Verwaltungsaufwand, der weitaus erheblicher sein dürfte:
Dass ein Genehmigungsverfahren aufwändig ist, bei dem es auf die Wechselbeziehung zwischen dem Verantwortlichen und seinem Hund ankommt, liegt auf der Hand. Hinzu kommen Komplikationen bei mehrköpfiger Hundehaltung. Will etwa eine vierköpfige Familie sicherstellen, dass der Hund wie bisher ohne Leine ausgeführt werden kann, müssen alle vier Familienmitglieder die Gehorsamsprüfung mit dem Hund ablegen. Nicht nur in Bezug auf die Überführung der vorhandenen Hunde in das neue Ordnungssystem, sondern auch für jeden Fall des Neuerwerbs von Hunden wird es somit in Hamburg einer umfangreichen Verwaltungsorganisation bedürfen, zumal es mit der Ablegung der Prüfung nicht getan ist, weil sich dem ein Verwaltungsverfahren mit weit reichenden sonstigen Überprüfungen anschließt.
Zudem reicht der Genehmigungsvorbehalt als solcher nicht aus, um den angestrebten Gesetzeszweck sicherzustellen. Vielmehr wird die Ordnungsverwaltung zu kontrollieren haben, ob für einen freilaufenden Hunde auch tatsächlich die Bescheinigung über die Befreiung vorgelegt werden kann, die – bezogen auf die individuelle Person und den Hund – erforderlich ist. Gerade durch die Beschränkung der Befreiung auf eine individuelle Person zu einem bestimmten Hund wird es künftig erhebliche Unsicherheiten geben, ob ein nicht angeleinter Hund auch tatsächlich zu Recht ohne Leine läuft.
Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge funktionieren nur, wenn die Nichtstörerpflichten eindeutig umrissen sind und durch Stichproben der Gesetzesvollzug zuverlässig gewährleistet werden kann. Für den hier in Rede stehenden Sachbereich lassen sich die Verhaltenspflichten, die auf verschiedene Konfliktlagen zwischen Bevölkerungskreisen und Hund abgestimmt sein können, durchaus in differenzierter Weise als Ge-/Verbotsnorm gesetzlich normieren, ohne dass dies einer präventiven Steuerung durch einen Genehmigungsvorbehalt bedarf.
Betrachtet man andere Bereiche des präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt wie etwa das Gewerberecht oder das Bauordnungsrecht, wird deutlich, dass im Fall eines geringen Gefahrenpotenzials die reaktive Steuerung der Ordnungsverwaltung ausreicht, während bei Tätigkeiten, die mit besonderen Gefährdungen verbunden sind, das gesetzliche Verbot in Verbindung mit einem Erlaubnisverfahren sachgerecht ist. Die Entscheidung des Einzelnen, einen Hund zu halten, ihn auszuführen und dabei „laufen zu lassen“, gehört in Deutschland schon seit Jahrhunderten zu einer Grundform der menschlichen Freiheit. Die Zunahme von Konfliktsituationen zwischen Bevölkerungsgruppen, die sich nahezu ausschließlich im Bereich der Gefahrenvorsorge und nicht der Gefahrenabwehr bewegen, kann es nicht rechtfertigen, „flächendeckend“ ein Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt zu etablieren, zumal die gewünschte Verwaltungsvereinfachung damit nicht erreicht werden kann.
Der hamburgische Gesetzgeber wird es dem Bürger nicht vermitteln können, dass er z.B. im neuen Bauordnungsrecht in weiten Bereichen Bauen ohne Genehmigung gestattet, während das Ausführen eines Hundes ohne Leine ausnahmslos einem Genehmigungsvorbehalt unterstellt ist. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Wahl des jeweiligen Überwachungsinstrumentariums in den unterschiedlichen Gesetzen mehr von den personellen Ressourcen und Wirtschaftlichkeitsüberlegungen bestimmt wird als von der Rücksicht auf die Freiheitsrechte des Bürgers.
Weniger belastend wäre im übrigen auch, den Leinenzwang erst obligatorisch zu machen, wenn es durch einen Hund zu erheblichen Belästigungen gekommen ist. Ein anderes, ebenso wirksames Mittel wäre es, eine Schulung dann vorzuschreiben, wenn es zu beachtlichen Vorfällen gekommen ist. Zudem könnten auch weitere räumliche Ausnahmemöglichkeiten geschaffen werden. Eine Regelung, wie sie in § 8 Abs. 1 Satz 2 getroffen ist, ist eindeutig zu eng. Das trifft auch auf die Bestimmung zu, dass Hunde, wenn sie sich im fremden Besitztum aufhalten, stets ein geeignetes Halsband tragen müssen, selbst wenn der Inhaber des Hausrechts eine Befreiung von der Anleinpflicht ausgesprochen hat. Zudem lässt sich das Anliegen des Gesetzgebers, Belästigungen frühzeitig entgegenzutreten, auch dadurch erreichen, dass die Erteilung von Ausnahmen zur Anleinpflicht von den Voraussetzungen des § 13 befreit wird.
(2) Zudem muss bezweifelt werden, ob das vorgesehene Genehmigungsverfahren überhaupt geeignet ist, Konfliktlagen im öffentlichen Raum, die durch frei laufende Hunde verursacht werden können, entgegenzuwirken.
Das Gesetz sieht vor, dass die Gehorsamsprüfung von „sachverständigen Personen oder Einrichtungen“ abgenommen wird, nach festgelegten Prüfungsstandards erfolgt und den Nachweis erbringen soll, dass von dem Hund keine Gefahren oder erhebliche Belästigungen für Menschen, Tiere oder Sachen ausgehen (§ 4 Abs. 1). Nach Vorlage einer erfolgreichen Prüfung erteilt die zuständige Behörde die Befreiung von der Anleinpflicht (§ 8 Abs. 1), allerdings nur, wenn die weiteren Pflichten, die § 13 Abs. 1 nennt und die ihrerseits nichts mit der Konfliktlage als solcher zu tun haben, erfüllt worden sind. Nach § 9 Abs. 2 kann die sachverständige Person, die die Prüfung abnimmt, nach behördlicher Beleihung die Befreiung von der Anleinpflicht erklären. Besondere Anforderungen an die „sachverständigen Personen“ nennt das Gesetz hingegen nicht. Dies wird ohne Konkretisierung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß dem Verordnungsgeber überlassen (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1).
Das alles läuft darauf hinaus, dass die Betreiber von Hundeschulen Ausbildung, Prüfung und Befreiung von der Anleinpflicht vermitteln werden. Es muss befürchtet werden, dass Ausnahmegenehmigungen im Wege der Gefälligkeit ergehen oder durch Personen erteilt werden, die den Ausnahmetatbestand nicht beurteilen können oder sonst unzuverlässig sind.
Insgesamt bleibt damit festzuhalten, dass die vom Gesetzgeber gewählte präventive Überwachungsregelung im Vergleich zu einer reaktiven und repressiven Aufgabenerfüllung, wie sie bisher praktiziert wurde, nicht ein „Mehr“ an Konfliktvermeidung verspricht. Da aber das neue System mit intensiveren Grundrechtseingriffen verbunden ist, muss es unterbleiben, weil es sich nicht auf den geringstmöglichen Eingriff beschränkt.
cc) Unabhängig davon ist die getroffene Regelung in jedem Fall unangemessen.
Mit der Verhältnismäßigkeit i.e.S als Prüfungsmaßstab für ein grundrechtseingreifendes Gesetz ist sicherzustellen, dass die Regelung den Betroffenen nicht übermäßig belastet. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der den Eingriff rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben. Je empfindlicher ein Grundrecht berührt wird, desto stärker müssen die Interessen des Gemeinwohls sein, denen die Regelung zu dienen bestimmt ist (BVerfGE 30, 292, 316; 67, 157, 178).
(1) Bei der danach erforderlichen Güterabwägung kommt dem Anliegen des Gesetzgebers erneut zentrale Bedeutung zu.
Ausweislich der amtlichen Begründung geht es um die Verhütung von Konflikten, die unterhalb der Schwelle einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit angesiedelt sind. Der Gesetzgeber spricht von „erheblichen Belästigungen“ (§ 4 Abs. 1 Satz 2) und betont damit selbst, dass der Eingriff mit einem öffentlichen Interesse begründet werden soll, das unterhalb der für das Gefahrenabwehrrecht relevanten Erheblichkeitsgrenze liegt. Dies wird bestätigt durch die Vorgeschichte des Gesetzes. Die Verabschiedung war erforderlich geworden, weil bloßen Belästigungen nicht mit dem Mittel einer ordnungsbehördlichen Verordnung begegnet werden kann.
(2) Dem Gesetzgeber ist es im Gefahrenabwehrrecht nicht verwehrt, die Eingriffsschwelle vom klassischen Gefahrenbegriff zu trennen und den Bereich der Gefahrenvorsorge mit in den Blick zu nehmen. Einigkeit besteht in der Rechtsprechung für diesen Fall aber darin, dass die damit einhergehende Ausweitung der Eingriffskompetenzen mit Blick auf die Grundrechte einer besonderen Rechtfertigung bedarf.
Ein Anwendungsbeispiel für das Bedürfnis nach einer besonderen Rechtfertigung findet sich in der gesetzlichen Ausgestaltung polizeilicher Standardmaßnahmen für das Betreten von Geschäftsräumen während der Geschäftszeiten. Vielfach befreien die Gefahrenabwehrgesetze die Verwaltung vom Tatbestand einer konkreten Gefahr und begnügen sich mit einer wesentlich niedrigeren Eingriffsschwelle, die dem Bereich der Gefahrenvorsorge zuzuordnen ist. So stellt das BVerwG zu einer entsprechenden Regelung in § 21 Abs. 4 BremPolG fest (BVerwG vom 25.08.2004 – 6 C 26.03 – BVerwGE 121, 345, 353):
„Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, auch im Vorfeld konkreter Gefahren Eingriffsermächtigungen zu schaffen, sofern …. zwischen dem Anlass und den Auswirkungen des Eingriffs ein angemessenes Verhältnis besteht und die Norm hinreichend bestimmt ist.“
Eine ähnliche Fragestellung ist aufgetaucht bei der Diskussion über die Zulässigkeit einer offenen Videobeobachtung an Kriminalitätsschwerpunkten. Auch hier geht es darum, dass unterhalb der herkömmlichen polizeilichen Eingriffsschwelle grundrechtseingreifende Maßnahmen vorgenommen werden sollen. Damit hat sich der VGH Mannheim (Urteil vom 20.07.2003 – 1 S 377/02 – NVwZ 2004, 498) auseinander gesetzt und gleichfalls eine besondere Rechtfertigung für die Legitimation von Eingriffen gefordert, um „einer Ausuferung polizeilicher Eingriffskompetenzen im Vorfeld von Gefahren entgegenzuwirken.“
Kriterien, die für die besondere Rechtfertigung bedeutsam sein können, können sich aus dem Stellenwert des polizeirechtlichen Schutzgutes, aber auch aus der Zahl der Betroffenen ableiten. Erforderlich ist auch, dass ein hinreichender Zurechnungszusammenhang zwischen den in Anspruch genommenen Personen und der Verursachung der Gefahr besteht, der im Vorfeld frühzeitig entgegengetreten werden soll.
Gemessen an diesen Umständen ist es dem hamburgischen Gesetzgeber nicht gestattet, eine allgemeine Anleinpflicht einzuführen. Die Missstände, denen frühzeitig begegnet werden soll, sind nur vereinzelt aufgetreten. Das rechtfertigt es nicht, eine Vorsorgemaßnahme „auf breiter Front“ zu treffen (ebenso OLG Hamm NVwZ 2002, 765), wie dies durch die allgemeine Anleinpflicht geschehen ist. „Getroffen“ werden – ausgelöst durch das Fehlverhalten weniger – alle Hamburger Hundehalter. Sie werden gleichsam „in Haft“ genommen, unabhängig davon, inwieweit bei ihnen Missstände feststellbar sind oder nicht.
Will der Gesetzgeber im Vorfeld einer Gefahr entgegenwirken, muss er darauf achten, dass staatliche Ordnungsverwaltung nicht ausufert und die Konturen verliert. Indem der Gesetzgeber die Gesamtheit der hamburgischen Hundebesitzer zur Gefahrenvorsorge heranzieht, setzt er sie auf breiter Front einem Grundrechtseingriff aus, dessen Anlass und dessen Erfordernis die Betroffenen nicht zu verantworten haben.
Das macht die gesetzliche Bestimmung disproportional.
Im Zusammenhang mit der Zulässigkeit einer Rasterfahndung ist das BVerfG vergleichbaren Fragen nachgegangen (Beschluss vom 04.04.2006 – 1 BvR 518/02 – DVBl 2006, 899). Es hat festgestellt, dass Grundrechtseingriffe, bei denen zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu ihrem konkreten Fehlverhalten steht und die den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität aufweisen. Der angestrebte Schutz vor Belästigungen kann einen so weit gehenden Grundrechtseingriff nicht rechtfertigen.
(3) Entscheidend für die Annahme der Disproportionalität ist letztlich der das allgemeine Gefahrenabwehrrecht beherrschende Grundsatz, dass der Bürger erst in die Pflicht genommen werden kann, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung droht.
Es gibt keine allgemeine Soziallast des Bürgers zur Steigerung des Sicherheitsniveaus unterhalb der klassischen Gefahrenschwelle (VerfGH M-V, Urteil vom 21.10.1999 – 2/98 – LKV 2000, 149, 154). Anders ist es nur, wenn eine künftige Gefahr – etwa im Umweltrecht – nicht beherrscht werden kann, würde noch weiter zugewartet werden. In diesen Fällen treten zudem grundrechtliche Schutzpflichten hinzu. Davon kann bei Belästigungen durch nicht angeleinte Hunde in „Metropolregionen“ keine Rede sein. Der hamburgische Gesetzgeber verlagert durch die allgemeine Anleinpflicht in Verbindung mit dem Ausnahmevorbehalt eine staatliche Aufgabe auf den Bürger und erleichtert sich damit die Erfüllung der allein ihn treffenden Pflichten.
Das aber ist durch nichts zu rechtfertigen und deshalb nicht verhältnismäßig.
Die aufgeführte Unverhältnismäßigkeit der allgemeinen Anleinpflicht des § 8 Abs. 1 leitet sich auch daraus ab, dass die flankierenden Vorkehrungen im Gesetz besonders weitgehend ausgestaltet sind:
Die Befreiung von der Anleinpflicht ist damit verbunden, dass der Adressat der Verwaltung den Zugriff auf personenbezogene Daten ermöglicht, deren weitere Verarbeitung durch den Gesetzgeber nicht eingeschränkt ist (§§ 13, 24, 25 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1-3). Diese Bestimmungen sind durch eine sachwidrige Kopplung geprägt und verstoßen damit gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 28 Abs. 1 GG. Sie beinhalten aber auch eine konturenlose und damit unzulässige Ermächtigung für die Verwaltung, auf personenbezogene Daten zuzugreifen.
dd) Die Unverhältnismäßigkeit einer Regelung kann sich auch daraus ableiten, dass die sie begleitenden Instrumentarien in ihren Auswirkungen und in einer Summierung sich als unangemessen erweisen.
Verstöße gegen die Anleinpflicht ermächtigen die zuständige Behörde, Ordnungsverfügungen zu erlassen, die über die Sicherstellung bis hin zur Einziehung des Hundes führen können. Das Gesetz hat für nahezu alle Ordnungsverfügungen bestimmt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage entgegen der Grundregel des § 80 Abs. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung haben (§ 23 Abs. 13). Abgesehen davon, dass dies als flankierende Maßnahme zur Unverhältnismäßigkeit der Anleinpflicht beiträgt, beinhaltet der generelle Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage einen – eigenständigen – unzulässigen Eingriff in die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, weil die Verkürzung des Rechtsschutzes sich sachlich nicht rechtfertigen lässt. Wenn der Gesetzgeber den Belästigungen entgegentreten will, die von Hunden ausgehen können und sich im Vorfeld einer Gefahr bewegen, ist es unangemessen, vom grundsätzlichen Rechtschutzsystem des § 80 Abs. 1 VwGO abzuweichen.
Unaufschiebbaren Maßnahmen von Polizeivollzugsmaßnahmen sind sofort vollziehbar (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO), während Ordnungsverfügungen in aller Regel nur dann vorzeitig vollzogen werden können, wenn dies durch die besondere Gefahrennähe oder Intensitäten rechtfertigt ist (BVerfG 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – NVwZ 2004, 93, 94 m.w.N.). Für Ordnungsverfügungen, die zur Verhinderung bloßer Belästigungen getroffen werden können, ist der grundsätzliche Vorrang des Vollziehungsinteresses unverhältnismäßig.
b) Objektive Verfassungswidrigkeit
Gesetze, die in Grundrechte eingreifen, können nur dann Ausdruck der Schrankensystematik – hier: der verfassungsmäßigen Ordnung – sein, wenn sie im übrigen verfassungsgemäß und damit gültig sind (BVerfGE 80, 137, 153 m.w.N.).
aa) Die grundsätzliche Anleinpflicht bei Hunden verstößt gegen Art. 20a GG.
Danach hat der Tierschutz Verfassungsrang. In dem Gutachten wird überzeugend dargelegt, dass der Leinenzwang wegen des Laufbedürfnisses, des Sozialverhaltens und des ausgeprägten Geruchssinns bei Hunden dazu führt, dass eine artgerechte Tierhaltung nicht mehr gewährleistet ist.
Nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz findet das Staatsziel seine Schranken in gegenläufigen Verfassungswerten und dies auch nur dann, wenn der Ausgleich unter möglichster Schonung des jeweiligen Wertes erfolgt.
Es wurde bereits festgestellt, dass die allgemeine Anleinpflicht nicht dem Schutz von Leben, Körper oder Eigentum dient, sondern Belästigungen vermeiden soll, die im Vorfeld einer Gefahr für die genannten – grundrechtlich geschützten – Güter verortet sind. Dann aber setzt sich der Tierschutz einseitig durch mit der Folge, dass die allgemeine Anleinpflicht insoweit objektiv verfassungswidrig ist.
bb) Die Delegation des Verwaltungsverfahrens zur Befreiung von der Anleinpflicht auf Private (§ 9 Abs. 1 iVm § 9 Abs. 2) verstößt gegen Art. 28 Abs. 1 iVm Art. 33 Abs. 4 GG. Den Beschwerdeführerinnen kann nicht angesonnen werden, dieses Verfahren zu durchlaufen.
Aus Art. 33 Abs. 4 GG folgt, dass die Ausübung von Hoheitsgewalt grundsätzlich Sache staatlicher Organe bzw der Organwalter unterstaatlicher juristischer Personen des öffentlichen Rechts ist. Nur so ist die personelle Legitimation in einer Demokratie, die über das Parlament vermittelt wird, gewahrt (Art. 28 Abs. 1 GG). Das schließt nicht aus, dass Private in eine öffentliche Aufgabenerfüllung eingebunden werden können – sei es als verlängerter Arm staatlicher Stellen, sei es durch eine Beleihung. Da die Einschaltung Privater in § 9 Hundegesetz mit der Übertragung von Entscheidungsbefugnissen verbunden ist, ist dies nur im Wege der Beleihung zulässig.
Die Übertragung von Hoheitsgewalt muss danach angesichts der Grundregel des Art. 33 Abs. 4 GG eine Ausnahme bleiben, die Abweichung bedarf der inneren Legitimation (BVerwG vom 29.09.2005 – 7 BN 2.05 – DVBl 2006, 840, 841) und sie muss durch den Gesetzgeber eng eingegrenzt sein.
Ein sachlicher Grund, der die Beleihung rechtfertigen könnte, ist weder vorgetragen noch im Gesetz ersichtlich.
Prüfungs- und Genehmigungstätigkeit werden vielmehr voraussetzungslos auf Private delegiert – und dies in einem Bereich, der für die Grundrechtsverwirklichung des Einzelnen nicht unwesentlich ist. Es kommt hinzu, dass die Aufsicht gegenüber den Privaten, die nach der Aufgabenübertragung hoheitlich tätig werden, nicht geregelt ist. Schließlich verlagert der Gesetzgeber die regelungsbedürftigen Modalitäten weitgehend auf den Verordnungsgeber, ohne die wesentlichen Fragen selbst zu bestimmen.
II. Eigentumsverletzung
Wie das Gutachten darstellt, führt eine allgemeine Anleinpflicht zu bleibenden gesundheitlichen Schäden bei den betroffenen Hunden und mindert damit das Eigentum der Beschwerdeführerinnen. Die Beschwerdeführerinnen, die ihr Eigentum im Vertrauen an die bisher geltende Rechtslage erworben haben, sind damit einem gesetzlichen Eingriff in ihr Eigentum als Bestandsgarantie ausgesetzt. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG schützt den Bürger jedoch nicht davor, dass der Gesetzgeber zukunftsorientiert die Eigentumsordnung entsprechend der Sozialbindung (Art. 14 Abs. 2 GG) neu bestimmt und dabei bereits vorher vorhandenes Eigentum mindert.
Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind aber nur hinzunehmen, wenn sie verhältnismäßig sind, den Grundsatz der Lastengleichheit wahren und das Eigentum als Einrichtungsgarantie in seinem Wesensgehalt unangetastet lassen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 iVm Art. 14 Abs. 2 GG). Der Schutz von Teilen der Bevölkerung vor der Belästigung durch Hunde rechtfertigt es nicht, in der weitgehenden Form das Eigentum zu beschränken, wie dies die Folge der allgemeinen Anleinpflicht ist. Wenn Hunde – wie das Gutachten ausführt – durch die Anleinpflicht krank werden und sich in ihrem Wesen ändern, wird das Eigentum praktisch entwertet.
Der Schutz nur vor Belästigungen rechtfertigt einen so intensiven Eigentumseingriff nicht.
III. Ungleichbehandlung
Es wurde oben dargestellt, dass es in Hamburg Hundelaufzonen gibt und damit einige wenige Flächen vorwiegend in Grünanlagen, die allen „sonstigen Hunden“ ohne Anleinpflicht zur Verfügung stehen. In den öffentlichen Grünanlagen gibt es aber auch Flächen, die als Freilaufmöglichkeiten nur „geprüften Hunden“ eröffnet sind.
Diese Differenzierung ist gegenüber den Beschwerdeführerinnen willkürlich. Der Gesetzgeber kann die unterschiedliche Behandlung nicht mit dem angestrebten Schutzzweck rechtfertigen, der dahin geht, bestimmte Bevölkerungskreise vor Belästigungen durch Hunde zu schützen. Wäre dies sein Anliegen, ist nicht nachvollziehbar, weshalb auf bestimmten Grünflächen alle „sonstigen Hunde“, auf anderen Grünflächen nur „geprüfte“ Hunde frei laufen dürfen.
Es ist vielmehr anzunehmen, dass der Gesetzgeber mit dieser Differenzierung einen Anreiz für die Akzeptanz der Neuregelung schaffen wollte. Nur Hundehalter, die die Anleinpflicht umsetzen und sich nach § 9 Abs. 1 um eine Befreiung bemühen, sollen in den Genuss der zusätzlichen Auslaufflächen kommen. Verfolgt aber der Gesetzgeber mit der Differenzierung letztlich eine Reglementierung der Normadressaten, ist dies willkürlich und verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Gutachten als Anlage von Dr. Barbara Schöning (pdf, 140kb)
Stellungnahme als Anlage von Dr. Barbara Schöning (pdf, 114kb)