Von Hamburgs Hundehaltern mit Spannung erwartet, hörte der Gesundheitsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft am 4. November 2008 geladene Experten zum „Bericht des Senats gemäß § 26 des Hundegesetzes über dessen Anwendung und Auswirkungen“ im Großen Saal der Handwerkskammer an.
Mit Dr. Gabriele Waniorek-Goerke (Vorsitzende Hamburger Tierschutzverein, HTV), Katharina Woytalewicz (Tierärztin und Tierheimleiterin im HTV), Dr. Barbara Schöning (Fachtierärztin für Verhaltenskunde und Tierschutz) und Jule Thumser (Vorsitzende Hunde-Lobby) standen dem Ausschuss erstmals Auskunftspersonen gegenüber, die geschlossen für die Interessen von Hund und Halter eintraten, mit dem Ziel, den Gesetzgeber dazu zu bewegen, zumindest die punktuell überschießenden Tendenzen im Hamburger Hundegesetz entsprechend den heutigen Erkenntnissen wieder zu beseitigen.
Widerlegbar und unwiderlegbar gefährliche Hunde
Gleich zu Beginn machte Dr. Waniorek-Goerke ihre Sicht sowohl als HTV-Chefin als auch als Richterin deutlich. Sie stimme dem Ziel nach mehr Sicherheit zu, stelle aber die Frage, was denn ein gefährlicher Hund tatsächlich sei. Die Frage, ob sich das Hundegesetz bewährt habe, sei zu einfach gestellt. „Durch das Gesetz sind vermeidbare Leiden entstanden. Aus Sicht des HTV hat sich die Unwiderlegbarkeit der Gefährlichkeit bestimmter Rassen nicht bewährt“. Sie erinnerte den Gesetzgeber daran, dass das Grundgesetz verlange, stets das mildeste Mittel zu wählen. Auf Nachfrage sprach sich die HTV-Vorsitzende entschieden gegen die Rasseliste aus: „Der Gesetzgeber hat zwar einen Gestaltungsspielraum, seine Grenze ist aber das Willkürverbot. Wenn man keinen vernünftigen Grund dafür angeben kann, dass ein Rottweiler (§ 2 Abs. 3 HundeG) mit bestandenem Wesenstest anders zu behandeln ist als z.B. ein American Staffordshire Terrier (§ 2 Abs. 1 HundeG) dann ist die Ungleichbehandlung willkürlich und damit verfassungswidrig“.
Dr. Schöning bekräftigte diese Ansicht und wies in diesem Zusammenhang auf ihre langjährige Tätigkeit als Sachverständige und Gutachterin hin. Bei jedem Vorfall, den sie untersucht habe, gab es eine Vorgeschichte. Durch sachkundige Hundehalter wären die meisten Vorfälle vermeidbar gewesen. Ihrer Meinung nach hätte sich die Sicherheit nicht erhöht. Vielmehr kritisierte sie auch die Statistik, der keine konkreten Zahlen zugrunde lägen, wie sich eine Beißerei entwickelt habe. Thumser ergänzte, dass die Statistik zudem nicht unterscheide, ob sich ein Beißvorfall im öffentlichen oder im privaten Raum ereignet habe. Auch gäbe die Statistik keinerlei Auskunft darüber, ob es sich tatsächlich um aggressive Angriffe oder lediglich um „normale Streitereien“ unter Hunden handele. Prof. Johannes Caspar (Wissenschaftlicher Dienst des Landtags Schleswig-Holstein) dagegen meinte, dass man gerade bei den Rottweilern deutlich erkennen könne, dass sich die Anzahl der Beißereien minimiert hätte.
Zur Kritik an der Beißstatistik machte Dr. Andreas Dressel (SPD) deutlich, dass die Zahlen vom Senat und nicht von der Bürgerschaft stammten und man damit arbeiten müsse, da es z.Zt. keine besseren gäbe. Auf seine Frage, ob in der Zwischenzeit juristische Ergebnisse vorlägen, antwortete Dr. Waniorek-Goerke, dass sie keine Kenntnis über Verfahren habe, in denen die Verhältnismäßigkeit überprüft worden wäre. Im Weiteren führte sie aus, dass sich die Gefährlichkeit eines Hundes nicht durch dessen Rasse bestimmen ließe. „Um aber nicht das ganze Gesetz auf den Kopf zu stellen, wäre es nur gerecht, die Ungefährlichkeit beweisen zu lassen. Das Ziel des Gesetzes wird dadurch nicht beeinflusst. Wenn Sie die eigene Beißstatistik ernst nehmen würden, müssten Sie sofort den Staffordshire Bullterrier von der Liste nehmen, da dieser in keinem einzigen Fall auffällig geworden ist.“ Dem entgegnete ein Abgeordneter, dass der Staffordshire Bullterrier nur deshalb nicht auffällig geworden sei, weil diese Rasse zum Tragen eines Maulkorbs verpflichtet sei.
Dr. Schöning verwies auf die Beißvorfälle mit Schäferhunden und stellte in diesem Zusammenhang erneut die Statistik in Frage: So wären laut zweier Aussagen des Senats von 2005 und 2008 im Zeitraum von 2004 bis 2007 insgesamt 241 Schäferhunde bei Hund/Hund- und Hund/Mensch-Zwischenfällen beteiligt gewesen – in der Einladung zur Anhörung werde für den Zeitraum von 2004 bis Anfang 2008 aber eine Gesamtzahl von nur 46 Schäferhunden genannt. Dr. Schöning plädierte eindringlich dafür, dass eine tatsächliche Gefahrenprävention vorrangig durch sachkundige Halter erreicht werden könne. Prof. Caspar wandte ein, dass die Zahl der Beißvorfälle von Pit Bull und AmStaff immer noch sehr hoch wären, obwohl diese Rassen in der höchsten Kategorie eingestuft seien. Thumser gab zu bedenken, dass der Bullterrier in den letzten vier Jahren nicht durchgängig als unwiderlegbar gefährlich eingestuft worden sei, weshalb die Statistik auch bei dieser Rasse nicht aussagekräftig sei. Zudem passierten die meisten Beißvorfälle im Privatbereich, wo das Hundegesetz ohnehin nicht greifen würde.
Christian Pahl (Ministerium des Inneren des Landes Brandenburg) betonte, dass sich die – im übrigen viel strengere – Brandenburgische Hundeverordnung im Bereich der Gefahrenvorsorge bewährt habe und empfahl, an den Rasselisten festzuhalten – wenigstens so lange, bis wissenschaftlich etwas Gegenteiliges belegt wäre. Im Übrigen habe das Oberverwaltungsgericht bestätigt, dass diese Vorgehensweise rechtmäßig sei. Dr. Schöning hielt dagegen, dass es längst wissenschaftlich untermauert sei, dass die Gefährlichkeit eines Hundes nicht von seiner Rasse abhänge. Gleichzeitig mahnte sie, dass es seit Inkrafttreten des Gesetzes vermehrt zu Fällen von Denunziation im Nachbarschaftsbereich und selbst unter Hundehaltern gekommen sei. Dabei scheine es nicht darauf anzukommen, wer Recht habe, sondern wer zuerst Anzeige erstatte. Da man in Brandenburg immerhin den Bestandsschutz gewährleistet habe, könne der HTV mit einem Zuchtverbot leben. Die allgemeine Handlungsfreiheit von Züchtern sei jedoch kein Anliegen des Tierschutzes. Eine Ungleichbehandlung der gelisteten Rassen sei aber nicht gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang stellte sie die Frage: „Was soll mit den Hunden der gelisteten Rassen passieren, die derzeit im Tierheim sitzen?“
Auf die Frage von Dr. Dressel nach der Anzahl der „gefährlichen“ Hunde im Tierheim, erklärte die HTV-Chefin: „Derzeit sitzen 66 sog. gefährliche Hunde im Tierheim. 23 von ihnen haben den Wesenstest bereits bestanden“. Die anderen Hunde würden noch darauf warten, den Test absolvieren zu dürfen. Die bürokratischen Wege dauerten allerdings oft sehr lange, so dass diese Hunde zum Teil Jahre auf eine Chance auf Vermittlung warten müssten. In diesem Zusammenhang räumte sie ein, dass tatsächlich gefährliche Hunde in der Vergangenheit auf Anordnung der Behörde getötet worden seien.
Pahl widersprach der Ansicht, Hunde würden aus bürokratischen Gründen übermäßig lange im Tierheim verbleiben. Zudem könne man die Verbringung von Hunden ins Tierheim nicht dem Hundegesetz anlasten. In Brandenburg würden Beißvorfälle sehr genau untersucht und wenn dann ein Hund im Tierheim lande, hätte er auch tatsächlich jemanden gebissen. Dr. Waniorek-Goerke wandte ein: „Der Ansatz, ein Hund sei gefährlich, weil er gebissen hat, ist ein völlig anderer, als wenn man sagt, der Hund ist gefährlich, weil er einer bestimmten Rasse angehört.“ Thumser kritisierte in diesem Zusammenhang, dass durch den Bezirklichen Ordnungsdienst auch Hunde eingezogen würden, die allein durch ihre Ähnlichkeit zu den gelisteten Rassen auffällig geworden seien, nicht aber durch aggressives Verhalten.
Auf die Frage aus der Bürgerschaft, warum niemand gegen das Hundegesetz geklagt habe, antwortete Dr. Waniorek-Goerke: „Eine prinzipielle Klage könne so nicht erhoben werden. Es müsse immer ein spezieller Fall vorliegen.“ Thumser ergänzte, dass die von der Hunde-Lobby initiierte Verfassungsbeschwerde nicht angenommen worden sei, wies aber darauf hin, dass eine weitere Klage vor dem Hamburger Verwaltungsgericht anhängig sei.
Die Kosten für die Unterbringung im Tierheim bezifferte Dr. Waniorek-Goerke auf derzeit 15 Euro pro Tag und Hund, die mit der Stadt abgerechnet würden. Die Vermittlung von gelisteten Hunden könne erst nach bestandenem Wesenstest erfolgen. Bis dafür die Genehmigung vorliege, könnten durchaus sechs Monate, aber auch schon mal ein Jahr oder mehr vergehen. Gründe für diese lange Wartezeit seien ihr nicht bekannt, hingen jedoch im Einzelfall vom zuständigen Bezirksamt ab. 2007 seien insgesamt 19 Hunde und in 2008 bisher zehn Hunde getötet worden. Über die jeweiligen Rassen könne sie nichts sagen, da darüber keine Statistik geführt würde. Thumser ergänzte, dass die Unterbringungskosten für beschlagnahmte Hunde dem jeweiligen Halter auferlegt würden.
Die Leiterin des Tierheims, Katharina Woytalewicz, betonte, dass Hunden im Tierheim generell ein artgerechtes Leben verwehrt bliebe und sagte: „Das ist ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz und die Hundehaltungsverordnung!“
Schaue man sich die Zahlen der Statistik genauer an, könne man die Unwiderlegbarkeit der Gefährlichkeit durchaus diskutieren, räumte Prof. Caspar abschließend zu diesem Thema ein.
Genereller Leinenzwang und Freilaufmöglichkeiten
Zur Kompensierung des generellen Leinenzwangs kritisierte Thumser die häufig mangelnde Größe und Trostlosigkeit der Auslaufflächen, die sowohl für Hund als auch Halter kaum Anreiz und Abwechslung bieten würden. Sie machte darauf aufmerksam, dass es in über 40 Stadtteilen bislang keine Auslaufflächen gäbe. Hundehalter wären gezwungen, weite Anfahrtswege in Kauf zu nehmen, um ihren Hunden einen artgerechten Auslauf zu bieten. Auch im Interesse des Umweltschutzes ein unhaltbarer Zustand.
Die zögerliche Akzeptanz des sog. Hundeführerscheins führte die Vorsitzende der Hunde-Lobby auf die Ungleichbehandlung von geprüften Hund-/Haltergespanne in den einzelnen Bezirken zurück. Sie machte auf den Stadtteil Wilhelmsburg aufmerksam, in dem es vor und nach der Bezirksreform zu unterschiedlichen Regelungen gekommen sei. Sie appellierte an die Bürgerschaft, entsprechenden Einfluss auf die Bezirke zu nehmen, damit möglichst alle Grünanlagen freigegeben würden. „Für die Hundehalter ist es nicht einsehbar, warum ein geprüfter Hund auf öffentlichen Straßen und Plätzen frei laufen darf, im Park oder in der Grünanlage dagegen angeleint werden muss!“ Auf Nachfrage erklärte Thumser, dass es u.a. in den Bezirken Mitte, Bergedorf, Altona und Eimsbüttel große Defizite bei der Ausweisung zusätzlicher Wege, Pfade und Flächen in den Grünanlagen gäbe. Die unsinnigsten Negativbeispiele seien die Grünfläche innerhalb des Verkehrskreisels am Klosterstern, die für geprüfte Hund-/Haltergespanne vom Bezirk Eimsbüttel ausgewiesen wurde, sowie der Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen in der Ebertallee, der vom Bezirk Altona für geprüfte Hunde in Aussicht gestellt wurde. In diesem Zusammenhang plädierte sie dafür, die Verantwortung für die Leine endlich wieder in die Hand der Halter zu legen.
Auf die Frage von Dr. Dressel, ob der Hunde-Lobby Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe des sog. Hundeführerscheins aufgefallen seien, erklärte Thumser, dass es große Spannen bei Kosten und Anforderungen gäbe. Entgegen der Annahme des Gesetzgebers, der Markt würde das Angebot regeln, lägen die Kosten für die Prüfung zwischen 35 und 150 Euro. Die Hundehalter wären dazu übergegangen, sich auf Empfehlungen anderer Hundehalter zu verlassen. Davon, dass man sich den Führerschein „erkaufen“ könne, wisse sie nichts. Deutlich kritisierte Thumser, dass Hunde erst im Alter von einem Jahr überhaupt zur Prüfung zugelassen würden und forderte, Welpen und Junghunde vom generellen Leinenzwang auszunehmen.
Hunderegister
Das zentrale Hunderegister bewertete Woytalewicz aus Sicht des Tierheimes als bedeutungslos. Da der HTV keinen Zugriff auf das Register habe, arbeite man bei Fundtieren mit privaten Organisationen, wie z.B. Tasso, zusammen. Prof. Caspar meldete hinsichtlich der gespeicherten Daten Bedenken an und bat um Klärung, welche Straf- und Bußgeldverfahren eingetragen würden – insbesondere, ob auch Verfahren registriert würden, die nichts mit der Hundehaltung zu tun hätten. Auch sollte die Frage nach Tilgung und Verjährung der Eintragungen sowie ein Auskunftsrecht der Hundehalter geregelt werden. Dr. Dressel gab an, dass der Datenschutzbeauftragte diesbezüglich bei der anstehenden Senatsbefragung gehört werde.
Soziale Belange
Dr. Waniorek-Goerke bestätigte, dass es durchaus vorkomme, dass Halter sich aufgrund der hohen finanziellen Belastungen von ihren Hunden trennten und diese im Tierheim abgeben würden. Auch Anfragen bezüglich finanzieller Hilfen – beispielsweise bei der Hundesteuer oder dem Wesenstest – habe es gegeben. Auch Thumser erklärte, dass sich viele Hundehalter hilfesuchend an die Hunde-Lobby gewandt hätten und appellierte für eine weitergehende Härtefallregelung, da beispielsweise die Tierhalterhaftpflicht bei Empfängern von Grundsicherung keinerlei Berücksichtigung finde. Dr. Waniorek-Goerke ergänzte: „Das geltende Hundegesetz hat gerade bei der Härtefallregelung die Halter der Hunde, die angeblich unwiderleglich gefährlich sind, ausgenommen. Auch dieser Punkt macht das Gesetz im Hinblick auf die Wahrung der Verhältnismäßigkeit äußerst fragwürdig“. Der Leiter des Gesundheitsausschusses, Harald Krüger (CDU), begründete dieses mit einer „bestimmten Klientel“, die „bestimmte Hunde“ halten würde.
Die Auswertung und Senatsbefragung zur Anhörung vom 4.11.2008 gemäß § 58 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft findet am 13.11.2008, 17.00 Uhr, im Bürgersaal des Rathauses statt.