Medien: Wie man „Kampfhunde“ macht

Man darf nicht immer alles glauben, was man liest – schon gar nicht, wenn es um das Angstmacher-Thema „Kampfhunde“ geht.

„Ihr Kampfhund zerfleischt ihr Kind!“ verkündete eine Schlagzeile vor einer Woche, eine andere: Erst der 15. Schuss stoppt Bestie – Kampfhunde zerfleischen Mädchen“ eine andere, eine dritte: „Kampfhunde zerfleischten Tochter fast – Mutter war‘s egal“. Von „Bestien“ war die Rede – die Wirklichkeit sah dabei anders aus: Die 14jährige Amelie war zu Hause mit den Familienhunden Tonka und Merlin, einem Boxer-Mischlig und einer American Bulldog: Eine Rasse, die in Bayern, Hessen und NRW als „Listenhunde der niedrigen Kategorie“ geführt werden, nach der die Hunde nach einem Wesenstest wie „normale“ Hunde gehalten werden können. Keine „Kampfhunde“ also; ohnehin lehnen alle Verhaltenswissenschaftler, die Arbeitsgemeinschaft der Diensthundeführer der Polizei, die Bundestierärztekammer oder der Verein für das deutsche Hundewesen (VdH) diese Bezeichnung ab, weil als erwiesen gilt, dass die Gefährlichkeit eines Hundes nicht an dessen Rasse festgemacht werden kann.

Amelie jedenfalls war Mitglied im Hundeverein und hatte einen Sachkundenachweis, Tonka war „Deutscher Meister“ in der Begleithundeprüfung. Tonka und Merlin gerieten in einen privaten Revierstreit und bissen sich: Kommt in den besten Familien vor, zwischen den edelsten Hunden. Die 14jährige versuchte, die beiden großen Rüden zu trennen, woraufhin sie gebissen wurde. Wenn Hunde sich wirklich in der Wolle haben, merken sie keinen Unterschied zwischen dem Ohr des anderen Hundes oder dem Arm des wohlmeinenden Besitzers. Niemand, der bei Verstand ist, geht zwischen zwei große kämpfende Hunde. Das Mädchen schrie nach den Nachbarn, die mit einer Harke auf die Hunde einschlugen, um sie zu trennen. Die Haustür ließen sie dabei offen, worauf die erschrockenen, jetzt zusätzlich verletzten Hunde hinausliefen. Ein anderer Nachbar, vom Krach alarmiert, rief die Polizei. „Schwer verletzt liegt Amelie H. im Eingangsbereich des Reihenhauses. Die Arme der 14järhign sind zerfetzt – tiefe Bisswunden!“ schrieb eine Zeitung. Natürlich hatte das Mädchen einen Schock. Ihre anschließende Behandlung in einem Krankenhaus – das sie umgehend wieder nach Hause schickte – war Standardbehandlung nach einem Hundebiss. Ihre Arme waren weder „zerfleischt“, noch „zerfetzt“.

Die Polizei eskalierte die Situation nun endgültig. „Die Kampfhunde streiften blutüberströmt durchs Dorf – Großalarm für Polizei und Feuerwehr!“ schrieb eine Zeitung. Die Polizei wies tatsächlich per Megafon alle Nachbarn an, unbedingt in ihren Häusern zu bleiben, zu ihrem eigenen Schutz. Ein Feuerwehrwagen überfuhr den einen Hund, ein Polizist – der offenbar dringend zum Schießtraining muß – benötigte 15 Schüsse, um den anderen, jungen Hund zu erschießen. Die „Mutter, die Hundehalterin, trauerte nach dem schlimmen Zwischenfall um die getöteten Kampfhunde“ , empörte sich ein Blatt. – Auch das Kind trauert verzweifelt um seine beiden Hunde. Sie wird das erlebte Trauma so schnell nicht überwinden, geschweige denn je wieder um Hilfe rufen, wenn es ein Problem hat.

Aus einem Hundestreit wurde ein Inferno, aus dem nur Opfer hervorgehen.

Erschienen in Bild am Sonntag vom 16.10.2011