Beißwütiger Hund darf nicht getötet werden

Schwierige juristische Lage – „Sugar“ soll künftig auf einem Gnadenhof in Bayern verwahrt werden

von André Zand-Vakili

Das Gezerre um die seit 15 Monaten im Tierheim Süderstraße untergebrachte Hündin „Sugar“ geht weiter. Das Tier, das bei Tests regelmäßig Kinderwagen angreift, wird vorerst nicht eingeschläfert. Vielleicht schickt Hamburg die Hündin demnächst sogar auf eine weite Reise. In Bayern gibt es einen Gnadenhof für Tiere, auf dem „Sugar“ unterkommen könnte. Laut Bezirksamt ist das eine „überdenkenswerte Lösung“.

Welcher Rasse „Sugar“ angehört, ist so unklar wie seine Herkunft. Eine Tierärztin stufte die Hündin, die der letzte Halter gefunden haben will, als American-Bulldog-Vizsla und damit als ungefährliche Rasse ein. Beim Tierschutzverein glaubt man, daß „Sugar“ ein American-Staffordshire-Terrier und damit potentiell sehr gefährlich ist. Im Alltag dürfte das ohnehin egal sein. Bei Babygeschrei rastet die Hündin regelmäßig aus. Dann verwandelt sich „Sugar“ in eine Beiß-Maschine, die mit ganzer Kraft gegen die Karre springt. Das haben mittlerweile drei durchgeführte Wesenstests ergeben.

Warum trotzdem keine Entscheidung über „Sugars“ Zukunft fiel, erklärt Sorina Weiland vom Bezirksamt Mitte so: Beim ersten Test monierte Halter Thomas W. die Umstände. Das Oberverwaltungsgericht gab ihm recht. Der zweite Test lief nicht nach den Vorgaben ab. Der dritte Test, formaljuristisch o.k., ist zwar durchgeführt. Aber dagegen kann der Halter beim Widerspruchsausschuß angehen. Auch mit dessen Urteil muß sich der Hundefinder, der „Sugar“ nie anmeldete, geschweige denn Hundesteuer zahlte, nicht abfinden. Ihm steht es frei, dagegen zu klagen. „Wir haben zur Zeit ein schwebendes Verfahren“, sagt Sorina Weiland. Solange sitzt „Sugar“ für 350 Euro im Monat in der Süderstraße ein. Wie es nach einer Entscheidung weitergeht, ist unklar. Der „Kinderwagenbeißer“ rührt das Herz von einigen Hundefreunden. Es gibt laut Bezirksamt bereits mehrere Angebote, damit ein finanziell abgesichertes Weiterleben des Tieres gewährleistet ist. Dabei hat man eine Frau aus Bayern im Auge, die Tieren das Gnadenbrot gewährt und auch den vielleicht vorhandenen guten Kern von „Sugar“ findet. „Damit könnten wir leben“, sagt Sorina Weiland. Voraussetzung ist, daß die Tierfreunde für die Unterbringung aufkommen und nicht der Steuerzahler belastet wird. Zudem müsse sichergestellt sein, daß „Sugar“ nie wieder außerhalb der Umzäunung eine ihrer vier Pfoten auf den Boden setzt. Auch eine Vermittlung an einen neuen Besitzer müßte strikt unterbunden werden. „Keiner kann in so einem Fall ernsthaft die Verantwortung für den Hund übernehmen“, sagt Weiland.

Wolfgang Poggendorf, durch den mittlerweile täglichen Umgang mit „Sugar“ ein Kenner des Hundes, hält diese Idee für bizarr. „Dieser Hund würde noch um die zehn Jahre leben“, sagt Poggendorf, der die Kosten für eine geeignete Unterbringung auf 20 Euro pro Tag, also auf über 70 000 Euro insgesamt veranschlagt. Schon im Tierheim Süderstraße muß der Hund allein gehalten werden. „Das Tier ist nicht im Rudel zu integrieren. Mehrmals wurden Pflegerinnen von dem Hund angegriffen“, sagt Poggendorf. „Wir müssen ihn deshalb schon ein Jahr einzeln im Zwinger halten.“

Der Hund sei „dauerhaft“ gefährlich. Deshalb plädiert er für das Einschläfern von „Sugar“. Denn ein ganzes Hundeleben allein im Zwinger untergebracht zu sein, hält er auch im Fall „Sugar“ für „Tierquälerei. „Wir warten viel zu lange auf eine Entscheidung“, sagt Poggendorf. „Der Fall zeigt, daß niemand bei den Entscheidungsträgern dazu bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.“

30. Juni 2005
https://www.welt.de/data/2005/06/30/739063.html